Dienstag, 5. April 2016

Disneyland und die Abenteuer rund um den Lake Tahoe

Ich blieb noch eine weitere Nacht bei Olivias Familie und machte mich lange vor Sonnenaufgang auf den Weg Richtung Los Angeles, um gegen 9 Uhr Paul, Rebeccas Bruder, zu treffen. Er hatte sich bereit erklärt, mich zu begleiten, wenn ich mir an diesem Tag einen meiner langjährigsten Kindheitsträume erfüllen würde: ein Besuch im Disneyland. Der Park erschien mir kleiner als erwartet, dennoch schafften wir es nicht, alle Attraktionen zu fahren. Mit Theo hatte ich einen erfahrenen Disneyland-Besucher an meiner Seite (Familien in der Umgebung bekamen vergünstigste Jahreskarten), der mir die besten rides empfahl. Peinlicherweise war ich mir den halben Tag nicht sicher, ob er Paul oder Theo hieß, da sich da Facebook und der Name, wie ihn seine Familie nannte, widersprachen - durch einen Zufall klärte sich dies glücklicherweise am Nachmittag. Mich überraschte die Detailgenauigkeit und liebevoll durchdachte Gestaltung der einzelnen Welten und war begeistert von dem Gefühl, nacheinander im Dschungel, Weltall, Wunderland oder über den Dächern von Paris zu sein. Nach einem zauberhaften Tag fuhren wir noch in ein mir bis dato unbekanntes Diner und ich durfte noch ein weiteres Mal bei Rebeccas Familie übernachten. 

Am nächsten Morgen trat ich die Rückreise nach Berkeley an. Da ich niemanden gefunden hatte, der in diesem Zeitraum auch nach Nordkalifornien musste, war ich gezwungen, die 660 km alleine zu bewältigen. Nach acht Stunden Fahrt war ich endlich am Ziel, holte meinen Koffer und mein Fahrrad bei den Donnelleys ab und zog bei Andy ein - er hatte mir angeboten, die letzten beiden Wochen bei ihm zu wohnen, was ich dankend annahm. Doch zunächst hieß es auch für uns nochmal: auf ins Auto, und auf zum nächsten Roadtrip. 

Am Freitag fuhren wir los in Richtung Norden und kamen am frühen Abend an unserem Ziel, Reno, in Nevada nahe des Lake Tahoe gelegen, an. Colin, ein couchsurfer, beherbergte uns auf seinem Dachboden mit Blick auf die Dächer Renos. Nach einem Erkundungsspaziergang durch das eher unspektakuläre Downtown, lediglich auffällig durch die vielen Casinos und Weddings Chapels, und über den Campus, kauften Andy und ich ein und kochten für Colin, seine Mitbewohner und deren Freunde Kässpätzle als Zeichen unserer Dankbarkeit. Gemeinsam zogen wir los und kehrten in The ole Bridge ein, einer der vielen urigen Pubs Renos. Dort empfahlen uns ein paar Leute, uns unbedingt Virginia City anzusehen. Gesagt, getan. Tags darauf begaben wir und also kurzerhand in die sogenannte Geisterstadt. Auf einem Berg gelegen zogen sich ein paar Bars und Geschäfte entlang, die aussahen, als seien sie in der Zeit stehen geblieben. Wie in alten Western Filmen ließen sich Schwingtüren in Kneipen öffnen, und jedes Haus hatte seine eigene Gruselgeschichte zu bieten, inklusive der kleinen Kirche am Ortsende. Die Bewohner der kleinen Städtchens wirkten etwas verschroben auf uns, überall wurden wir sofort als fremd identifiziert und wie Aliens angestarrt, viele Sehenswürdigkeiten waren geschlossen, das angeblich sagenhafte Toffee schmeckte viel zu süß und die uns als geisterhaft beschriebene Stimmung rührte lediglich von der Stille und Einsamkeit in diesem Städtchen. So fuhren wir, nicht wirklich von Virginia Citys Reiz überzeugt, zumindest noch am Lake Tahoe vorbei, der bereits in vollkommene Dunkelheit getaucht war. Der riesige See erstreckte sich vor uns und entschädigte uns für den wenig erfüllenden Ausflug in die seltsame Stadt. Nach einem Abendessen in einem asiatischen Restaurant testeten wir abermals eine der Bars in Reno und vereinbarten, am nächsten Tag den Aufstieg auf den Mr. Rose zu wagen. Ich fühlte mich zunehemnd schlechter und mein Husten klang alles andere als gesund, doch wir wollten unbedingt wenigstens einmal wandern und den See von oben betrachten. Zudem wurde der Trail, den wir laufen wollten, als familien- und freundlich beschrieben.

So brachen wir am nächsten Morgen auf, stellten unser Auto auf einem Parkplatz ab und suchten den Trail. Außer einem schneebedeckten Hügel konnten wir wenig erkennen, und so stapften wir einfach mitten hindurch auf der Suche nach einem Weg. Nach wenigen Metern war ich bereits genervt - ich hasste es, auf eisigem Untergrund auszurutschen oder in Schnee knöcheltief einzusinken. Doch Andy war optimistisch, dass sich die Bedingungen nach diesem Hügel bessern würden. Er behielt Recht, und wir wanderten eine Weile durch einen schönen Schneewald, zwischendurch immer wieder einsinkend in den Schnee, da kein Schild oder Weg erkennbar war und wir mehr oder weniger dem Gefühl entsprechend liefen. Durch ein Tal hindurch ging es anschließend steiler weiter, und nun machte sich auch die Höhe bemerkbar, in der wir unterwegs waren - mittlerweile befanden wir uns auf über 3000 Metern Höhe. Ein Highlight ergab sich, als uns ein anderer Wanderer entgegenkam - der einzige für diesen Tag. Natürlich hatte er Schneeschuhe an. Uns war klar, dass wir nicht ausreichend ausgerüstet waren und der Weg nicht die einfachsten Bedingungen bot, doch wir motivierten uns gegenseitig, wenigstens bis zu einem Punkt zu laufen, von dem aus man den See sehen konnte. An einer besonders steilen Stelle nutzten wir die Gelegenheit, um einen Hang hinunterzurutschen - wir waren ohnehin mal wieder einem irreführenden Weg gefolgt. Es ging steil weiter, über Felsen hinweg, und endlich konnten wir den See in der Ferne entdecken. Das Panorama war zweifelsohne wunderbar anzusehen, doch mir fehlten bereits die Kräfte, durch das Einsinken im Schnee war dieser in meine Schuhe eingedrungen, und der bevorstehende Abstieg ohne klaren Weg machte mich nervös. Andy wollte sogar noch bis hinauf zur Spitze, doch da es schon nach 14 Uhr war, wollte ich das Risiko nicht eingehen. Wir traten den Rückweg an, und wählten diesmal den vermeintlich richtigen Weg quer durch das Tal hindurch, der uns schneller ans Ziel bringen sollte. Leider liefen wir nun völlig falsch und sanken aller paar Schritte bis zur Hüfte in den Schnee ein. Vorher war dies auch immer mal wieder passiert und hatte uns eher noch zum Schmunzeln gebracht, jetzt zehrte es an unseren Kräften, aller paar Meter aus dem Schnee klettern zu müssen, nur um wenige Sekunden später wieder einzusinken. Einmal sank ich sogar in eine Kuhle hinein und lag vollends unter der Schneedecke. Ich hatte keine Lust mehr, weiterzuwandern, hatte auch kaum noch Kraft, konnte durch meine angeschlagene Lunge nur schwer atmen und befand mich noch dazu in nassen Klamotten. Doch Alternativen boten sich keine: Handyempfang hatten wir nicht, und da wir nur für einen Day Hike ausgerüstet waren, mussten wir es bis zum Auto zurück schaffen. Wir kämpften uns weiter, sprachen uns gut zu, und versuchten uns nicht nervös zu machen. Nachdem wir wieder im Wald waren, hofften wir, den Wanderweg wieder zu finden, doch abermals liefen wir ständig falsch. Andy navigierte uns mittlerweile mit seinem GPS-System, sodass wir einigermaßen in die richtige Richtung liefen, doch nichtsdestotrotz versanken wir nach wie vor im Schnee, und wenn wir uns endlich auf ein paar Metern Weg befanden - was nie lange der Fall war - war dieser vereist. Zu allem Überfluss fing es nun an, dunkel zu werden. Andy hatte seine Stirnlampe dabei, die er mir gab, und er benutzte seine Handytaschenlampe als Lichtquelle. Meine Angst übermannte mich fast, da man kaum noch sah, wohin man trat, und meine Gedanken formten sich ungewollt zu Schreckensbildern, wie ich ausrutschte und in die Tiefe stürzte oder wir uns vollends verliefen und das Auto nicht erreichen würden. Während der letzten Stunden befand ich mich in einem tranceähnlichen Zustand, in dem ich mich zwang, Schritt vor Schritt zu setzen, während ich gegen die Angst in mir ankämpfte. Ich stelle keine Fragen zum Weg mehr und lief einfach Andy hinterher durch die Dunkelheit. Nach quälenden, sich wie eine Ewigkeit anfühlenden Minuten, waren wir auf einmal wieder auf dem Anfangshügel, und mit einem Mal sahen wir den Parkplatz und unser Auto wieder. Acht Stunden hatten wir gebraucht, und vor Erleichterung fing ich an zu weinen, als wir wieder im Auto saßen. Jetzt erzählte mir Andy, dass ihm die Situation auch nicht gefallen habe. Nun, da wir wieder im Auto waren, könne er mir auch erzählen, was ihn zusätzlich beunruhigt hatte: ihm waren im Schnee Bärenspuren aufgefallen...
Im gesammelten Wasser in unseren Schuhen watend kauften wir noch Zutaten für Burritos ein, wollten dann aber nur noch duschen und schlafen. 

Am nächsten Tag fuhren wir entlang dem Lake Tahoe und entschieden uns für eine kurze Wanderung entlang des Rubicon Trail. Am See war es erstaunlich warm, kein Schnee war weit und breit zu sehen, der Weg war befestigt und viele Menschen in Sichtweite, und all das belebte unsere Lebensgeister und wir genossen die schnelle Wanderung entlang des ruhigen, erhabenen Sees. Wir kletterten über Klippen und legten dort eine Mittagspause ein, und diesmal verlief der Rückweg wie geplant und wir waren vor geplanter Zeit wieder zurück am Auto und bereit, die Rückfahrt anzutreten. Zurück in Berkeley musste ich von George Abschied nehmen, der mir in den zwei Wochen ein lieber Reisebegleiter geworden war, und mir den Spaß am Fahren wieder gezeigt hatte. Und dann begannen bereits die letzten beiden Wochen meiner Zeit in Amerika...

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