Sonntag, 29. Mai 2016

Viele Wendungen und Entscheidungen

Am Mittwoch trudelten die ersten Antworten auf meine Anfragen ein, und neben Absagen ergaben sich zwei interessante Alternativen. Zum einen bekam ich von einer Yogaschule, die ein Projekt in Cusco fördern, die Antwort, dass die Ansprechpartnerin Barbara in Cusco wohne, mit der ich direkt Kontakt aufnehmen könne. Zum anderen wurde mir von der Ansprechpartnerin einer deutschen Website der Kontakt zu Enrique hergestellt, der der Organisator der dazugehörigen niederländischen Website ist, da dieser auch gerade in Cusco war. Dieser hatte spontan Zeit, und so trafen wir uns in der Mittagspause am schönen Plaza San Blas, der im wunderschönen Künstlerviertel San Blas liegt, in das man über steile und enge Kopfsteinpflastergassen gelangt, auf denen einem oft traditionell gekleidete Frauen mit ihren Lamas entgegenkommen, mit denen sie sich um den Plaza de Armas herum für ein paar Soles fotografieren lassen. In einem französischen Café erzählte Enrique mir von seiner Vision und seiner Website. Als Peruaner kannte er die vielen Probleme, die es in Peru gibt, und auch die Notwendigkeit von freiwilligen Helfern, die Projekte vor Ort unterstützen. In den letzten Jahren haben viele westliche Agenturen das Bedürfnis vieler junger Menschen, sich in anderen Ländern ehrenamtlich engagieren zu wollen, erkannt und kommerzialisiert. Dies ist übrigens auch hier allseits bekannt, fast alle Peruaner, mit denen ich bisher gesprochen habe, haben nachgefragt, ob ich auch so verrückt gewesen sei, für freiwillige Arbeit mehrere hundert Euro an eine Agentur zu zahlen. Bei meiner Agentur habe ich zwar eine kleine Vermittlungspauschale gezahlt, doch die großen Agenturen verlangen Preise in ganz anderen Dimensionen, wodurch Langzeitaufenthalte leider selten sind. Die Vokabel Voluntourismus hat sich dafür etabliert. Dadurch geht die Idee und Intention der Freiwilligenarbeit oft verloren, auf Seiten der Freiwilligen und der Organisationen. Enrique gründete vor sieben Jahren seine Website, um diesem Trend entgegenzusteuern und Ausländern eine sinnvolle Mitarbeit in lokalen Projekten zu ermöglichen, in der die zusätzliche, direkte finanzielle Unterstützung natürlich immer möglich ist, aber eben keine obligatorischen, intransparent aufgeteilten Summen gezahlt werden müssen. Sein Enthusiasmus war ansteckend, und bei einem Kaffee und Empanadas erzählte er mir von den laufenden Projekten in Cusco. Neben vielen anderen wunderbaren Projekten begeisterte mich das Projekt Corason besonders, und er versprach, sich gleich am Freitag ans Telefon zu hängen und zu versuchen, eine passende Stelle für mich zu finden. Da die deutsche Website nur von einer Ehrenamtlichen befüllt wird, entspricht sie nicht der Aktualität und dem Niveau der niederländischen Seite, und als Enrique mich fragte, ob ich vielleicht Lust hätte, nebenbei ein wenig die Aktualisierung zu unterstützen, überlegte ich nicht lange und sagte gerne zu.

Um meiner Einsamkeit entgegenzuwirken und neben Reisenden, die nur wenige Tage in Cusco bleiben, auch Peruaner kennen zu lernen, hatte ich mich bei Couchsurfing auf die Suche nach potenziellen Freunden gemacht und innerhalb weniger Tage mit etwa zwanzig neuen Leuten Kontakt. Am Mittwochabend traf ich mich mit Jenny, einer peruanischen Couchsurferin, die bis vor wenigen Monaten für viele Jahre in den USA gelebt hatte und im Sommer einen Schweizer heiraten wird. Eigentlich hatten wir uns für ein Sprachtandem verabredet und wollten Spanisch und Deutsch üben - am Ende des Abends hatten wir uns stundenlang auf Englisch unterhalten. Nachdem wir uns auf dem nächtlichen San Blas Plaza getroffen und ins Norton gegangen waren, auf dessen Balkon man direkt über dem Plaza de Armas sitzt, zogen wir durch die von Bars und Diskos überfüllte Procuradores weiter in das gemütlichere Los Perros, in dem man Jenga spielen kann, und unterhielten uns dabei viel über Kultur und Politik unterhielten, was insbesondere deswegen interessant war, weil Jenny in vielen Dingen eine andere Meinung als andere Peruaner, mit denen ich mich bisher unterhalten hatte, hatte, und oft auch eine andere als ich.



Am Donnerstag war in Peru, wie auch in Deutschland, ein Feiertag, und das Fest Corpus Christi wird wohl nur in Cajamarca so feierlich wie in Cusco zelebriert. Leider sollten wir jedoch zunächst um 9 Uhr zu einem Teammeeting erscheinen, da an diesem Tag Bady, der übergreifende Koordinator und auch Praktikumskoordinator von CID aus Lima, sowie die Marketing-Mitarbeiterin Silvana für einen mehrtägigen Besuch in Cusco anreisen sollten, um die Marke Perspektiva zu stärken. Eine Stunde lang saßen meine vier Kollegen und ich im Büro und warteten auf Edilberto, der um 10 Uhr ohne ein Wort der Erklärung oder gar Entschuldigung auftauchte, fünf Minuten an seinem Laptop saß und dann wieder verschwand, wohl um Bady abzuholen, der dann um 11 Uhr tatsächlich da war. In den zwei Stunden entwickelte sich dadurch, dass die anderen vier mal zusammensaßen, eine interessante Dynamik, und gegenseitig berichteten sie sich von ihrer Frustration und ihrem Unverständnis. Ich drängte ein wenig darauf, dies nicht nur intern zu besprechen, sondern auch zu kommunizieren und die Chance zu nutzen, dass Bady kommen würde, und die anderen meinten, dies sei ohnehin geplant - jedoch wurde im ersten Gespräch mit Bady nichts dergleichen angesprochen. Dieser schien lediglich irritiert, dass die gesamte Agenda offensichtlich umgeworfen würde - was für eine Überraschung. Supervisionen von Kursen und Beratungen? - Leider sind keine angesetzt, aber das könnte noch organisiert werden, es wird mal bei ein paar Leuten angerufen. Besuche bei Unternehmensgründern? - Schwierig, denn da gibt es ja kaum welche in der Region. Der Knaller war für mich, dass die Absage der Auszeichnung des internationalen Start-Up-Gründers am nächsten Tag kommentiert und begründet wurde mit dem Argument, der Termin hätte sich ungünstig mit dem Feiertag überschnitten - der ja wie gesagt am Vortag war. Eigentlich war das Problem gewesen, dass niemand die Einladung angenommen hatte, die zwei Tage vor der Veranstaltung eingetroffen waren. Völlig frustriert und wütend war ich froh, dass wir ab mittags frei hatten, und lief gespannt zum Plaza des Armas. Ganz Cusco schien sich dort versammelt zu haben, denn jährlich werden am Corpus Christi in einer feierlichen Prozession fünfzehn riesige Heiligenstatuen aus den Kirchen, in denen sie im Rest des Jahres stehen, zur Kathedrale getragen, wo sie für eine Woche stehen und dann in einer weiteren Prozession wieder in ihre Heimatskirchen getragen werden. Meist tragen Kinder vorneweg einen Tisch zum Abstellen der Statue, dann folgen die Träger, die sichtlich unter der Last der prachtvoll geschmückten Statuen schwitzen, und eine Band für jeden Heiligen. Schon am Vortag hatte ich eine Art Generalprobe mit Enrique beobachtet, doch heute war die Prozession noch größer, lauter und festlicher.





Nachmittags traf ich mich mit Eduardo, meinem Kollegen, und seiner Freundin Monika, und gemeinsam liefen wir zum Plaza San Francisco, der aus allen Nähten platzte vor Menschen und Ständen, die sich über den gesamten Platz verteilten und alle das gleiche traditionelle Gericht verkauften, das in Cusco nur an Corpus Christi gegessen wird: Chiriuchu, was auf Quechua kaltes Essen bedeutet. Natürlich wollte ich mir das nicht entgehen lassen, ohne zu wissen, was das Gericht eigentlich enthielt, und es lag mir leider noch Tage später schwer im Magen. Auf vollen Bänken inmitten anderer Peruaner isst man dieses Gericht, das kleine Portionen von Speisen aus verschiedenen Regionen Perus sowie auch spanischen Spezialitäten enthält, mit den Händen: gerösteter Mais, Meerschweinchen, Hühnchen, eine Art Trockenfleisch, ein Stück Wurst, ein Stück Käse, ein Stück Tarreja (eine Art Tortilla), Algen, Fischeier sowie ein Stück Rocoto.



Nach diesem reichhaltigen Essen liefen wir ein wenig durch die vollen Straßen Cuscos, durch das Gewühl von Ständen, Feiernden, Straßenverkäufern und Musikern, wobei Eduardo mit jedem zweiten Peruaner befreundet zu sein schien. An einem der Tische am Plaza San Francisco blieben wir schließlich bei einer Gruppe alter Kinderfreunde von Eduardo hängen, die bereits einen deutlichen Vorsprung im Cerveza trinken hatten, und zogen nach einigen Stunden ins Norton weiter, um der Kälte zu entweichen und dort Dart zu spielen. Später am Abend machte ich mich auf den Weg in die Indigo Bar, da dort der Couchsurfing-Stammtisch stattfand, und beendete den Abend mit vielen netten Gesprächen und lieben neu kennen gelernten Menschen.





Freitags war abermals ein Treffen für 9 Uhr angesetzt worden, zu dem Edilberto nicht erschien. Später erfuhren wir, dass dieser sich mittlerweile in Arequipa befand und dort auch für die nächsten Tagen bleiben würde. Die sich so ergebende freie Zeit nutzte ich, um meine Masterbewerbungen weiter zu verfassen, mir im Supermarkt Causa de Atun, ein Kartoffelauflauf mit Thunfisch, und Frozen Yogurt zur Mittagspause zu besorgen und schließlich den Bus nach San Jeronimo zu nehmen, wo ich mich an der Endhaltestelle mit Barbara verabredet hatte. Barbara begrüßte mich warmherzig, erzählte mir einiges zur Casa Mantay und wie der Verein Mantay e.V. das Projekt von Deutschland aus unterstützte, und zeigte mir das Haus.
Casa Mantay bietet seit 16 Jahren minderjährigen Mädchen, die ungewollt schwanger sind, einen Ort, an dem sie in einer sicheren Umgebung leben können und Verpflegung, Kleidung sowie psychologische Betreuung, Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder und eine Basisausbildung erhalten. So soll verhindert werden, dass die Mädchen ihre Kinder in ein Waisenhaus abgeben. Zwischen 10 und 20 Mädchen leben mit ihren Kindern hier.
Die Atmosphäre war familiär und freundlich, das Haus liebevoll gestaltet. Zufällig war die Direktorin, eine Spanierin, gerade verfügbar, und Barbara fragte sie direkt, ob es für mich Möglichkeiten gäbe, dort zu arbeiten. Sie dachte zunächst, ich würde im therapeutischen Bereich arbeiten wollen, aber als dieses Missverständnis ausgeräumt war, wurde kurzerhand beschlossen, dass ich Workshops über Themen wie zum Beispiel Selbstachtung und Selbstwertgefühl anbieten könne und ansonsten überall mithelfen könne, wo es sich ergeben würde - im Kindergarten beim spielerischen Lernen, bei der Hausaufgabenbetreuung, in der Kinderkrippe, in der Küche, im Garten oder oder oder. Der Plan würde noch am Freitag besprochen, dann stünden meine Zeiten für die nächste Woche fest und am Montag könne ich anfangen. Dass es so einfach und schnell werden würde, hatte ich nicht erwartet. Barbara zeigte mir noch den Rest des Hauses, und je mehr ich sah, desto begeisteter war ich. In einer Kunsthandwerkstatt werden die Mädchen ausgebildet und fertigen wunderschöne Taschen, Geldbeutel, Schlüssenanhänger und mehr, die lokal in Cusco vertrieben werden. Wenn die Mädchen mit 18 das Haus verlassen müssen, können sie in der Werkstatt eine Festanstellung bekommen. Ein neues Projekt ist die Ausbildung zur Floristin in der hauseigenen Werkstatt und die Fertigung von Blumengestecken zu Feierlichkeiten - ein durchschlagender Erfolg war das Schmücken einer der Heiligen anlässlich Corpus Christi! Durch die Erlöse dieser beiden Geschäftszweige soll sich Casa Mantay langfristig unabhängig von Spendengeldern finanzieren können.



Bilder von Casa Mantay

Wichtig war für mich, was Barbara mir im Bus mit auf den Weg gab: selbst Ideen und Initiative mitzubringen. Niemand würde mir sagen, was ich tun solle, und viele Freiwillige gingen deshalb mit dem Gefühl, nicht gebraucht zu werden. Doch das Team sei immer offen und dankbar für Ideen und Vorschläge, und im Grunde könnte ich alles umsetzen, worauf ich Lust hätte, von Kommunikationstrainings bis hin zu Basteleien mit den Kindern. 
Kurz nach dem Besuch schrieb mir Enrique, dass ich ab nächster Woche auch bei Corason anfangen könne - doch das durchdachte, nachhaltige und ganzheitliche Gesamtkonzept von Casa Mantay brachte mich zu der Entscheidung, dort anzufangen zu wollen, auch wenn Corason ein tolles Projekt für Straßenkinder zu sein scheint.
Der Freitagnachmittag war wieder von Langeweile und Frustration geprägt - Silvana, Nanci und ich fuhren zu einem Event, bei dem Edison einen Vortrag halten sollte, um Fotos für die Webpräsenz zu schießen. Leider kam Edison nicht, aber Silvana machte das Beste aus der Situation und wir drei Frauen verstanden uns sehr gut.



Am Freitagabend traf ich in einer Creperie in San Blas Marta aus Frankreich, die letztes Jahr bei CID Praktikantin gewesen war. Die Parallelen unserer Erfahrungen grenzten an Gruseligkeit. Wir konnten die Eindrücke und Gefühle des anderen exakt bestätigen und nachempfinden, doch anders als ich hatte Marta sich damals durch drei Monate gekämpft, und war die meiste Zeit davon unglücklich gewesen. Doch nicht nur das - Marta hatte auch in meinem Hostel gewohnt, direkt nebenan, und hatte sich, wie ich, nach wenigen Tagen unwohl gefühl, war aber zwei Monate geblieben. Auch sie hatte sich in Julios Gegenwart unwohl gefühlt und all die Dinge gehasst, die ich auch zu hassen beginne - dass er immer da ist und mitbekommt wann man isst und geht und wiederkommt, da man das Haus nicht alleine betreten und nachts auch nicht alleine verlassen kann, da er den einzigen Schlüssel hat und immer zusperrt, manchmal auch tagsüber. Dass er immer Kontakt und Gespräche sucht und zum Essen einlädt, obwohl man sowieso schon nicht das Gefühl von Privatsphäre hat. Und dass er unsere Grenzen überschreitet - er macht zu wenig, um ihm etwas Handfestes vorzuwerfen, aber zu viel, um sich noch wohlzufühlen. Bei mir waren es die Komplimente und die Bitte um das nächtliche Eincremen, bei Marta waren es immer wiederkehrende Scherze, dass er sie eines Tages heiraten und mit nach Frankreich kommen würde. Alles in allem erkannten wir uns also absolut ineinander wieder, und da sie nach wie vor unfassbar frustriert war, beschlossen wir, etwas zu unternehmen und mobilisierten noch am Abend die Kollegen.

Am nächsten Morgen fragte ich Bady nach einem Treffen, und nachdem Silvana am Vormittag von vier Unternehmern, die uns besuchten oder die wir besucht hatten, Fotos geschossen hatte, kam Marta vorbei und mit drei der Kollegen und Bady setzten wir uns zusammen. Ich hatte mir am Vortag Gedanken gemacht und benannte die für mich grundlegendsten Probleme: fehlende Kommunikation und Struktur, und damit einhergehend und resultierend der Mangel an Absprachen, gemeinsamen Zielen, Transparenz der Aufgabenverteilung und methodischer Einheitlichkeit sowie durch ausbleibende Wertschätzung und Rückmeldung entstehende Frustration. Indirekt war klar, wie das Problem auch auf den Punkt gebracht werde konnte: Edilberto. Marta und ich waren besorgt gewesen, dass die anderen sich vor Bady nicht mehr trauen würden, etwas zu sagen, doch sein aufrichtiges Interessse und sein Verständnis für Marta und mich führten dazu, dass die anderen sich vollkommen öffneten und ihre gesamte Frustration erstmals und endlich formulierten und ihre Probleme benannten - das war vorher noch nie passiert, hatte Bady vorher Marta erzählt. Bady nahm alle Kritikpunkte aufmerksam auf und reagierte wie eine Führungspersönlichkeit aus dem Lehrbuch. Ich hatte mittlerweile allen eröffnet, dass ich aufhören würde, und das Gespräch nahm eine für mich unangehme letzte Wendung, in der die Erleichterung und der aufkeimende Optimismus und die Hoffnung auf Veränderung dazu führten, dass auf einmal alle versuchten, mich zum Bleiben zu überreden - doch ich bin mir sicher, dass mein Platz dort nicht ist, und ich denke durchaus, dass die Veränderung angestoßen wurde, doch in einem langwierigen Prozess stattfinden wird, und davon möchte ich schlicht und einfach nicht länger Teil sein. Ich bezweifle, dass ich mich wohlfühlen würde. Mit einer letzten E-Mail habe ich mich heute von den Kollegen und Bady offiziell verabschiedet und somit einen Schlussstrich gezogen, begleitet von dem guten Gefühl, nicht einfach abgehauen zu sein, sondern wenigstens noch versucht zu haben, etwas in Gang zu bringen.

Gestern Abend hab ich mich einem Pub Crawl angeschlossen, doch war leider nur mit zwei Amerikanerinnern "on the same page". Nach einem Salsakurs im Inka-Team, einer tollen Live-Band in einer Bar nebenan und dem Besuch zweier Clubs, in denen sich die Musik von latino-geprägt und gut langsam aber sicher in Richtung Charts und langweilig bis anstrengend entwickelte, und in denen neben vereinzelten Peruanern nur Reisende tanzten und sich die Kante gaben, traf ich noch kurz einen anderen Couchsurfer, Fernando, und entzog mich dann der Partygesellschaft, die man genau so überall auf der Welt finden würde.



Heute hab ich mir die Kathedrale angesehen und war erstaunt, wie imposant und riesig sie war. Im Eintrittspreis ist eine gut gemachte Audiotour enthalten, und so wird man durch die Hauptkirche und die zwei Nebenkirchen mit den prachtvollen Altären, Gemälden und Chören aus Silber, Gold, Spiegeln und aufwendig bearbeitetem Holz geführt und auf die verschiedenen Stile und Einflüsse der spanischen und prähispanischen Kultur aufmerksam gemacht, wie das Meerschweinchen auf dem Teller des letzten Abendmahls, und lernt dabei eine Menge über die Geschichte und Kultur Perus und Cuscos. Schön war insbesondere heute, dass die fünfzehn Heiligen noch in der Kathedrale stehen. Und auf dem Plaza de Armas war eine Parade - ich weiß nicht, ob überhaupt schon ein Tag vergangen ist, an dem ich keine Parade oder Prozession mit einer Heiligenstatue in irgendeinem Teil der Stadt gesehen habe.




Nach meinem Mittagessen bei den Marktständen von San Francisco habe ich mich mit Jenny im Choco Museo getroffen, das neben dem unspektakulären Museum auch ein Café beherbergt, und von dessen Balkon man auf meinen Lieblingsplatz, den Plaza de Regocijo, blicken kann, während man köstliche Schokoladendesserts löffelt oder sich seine eigene heiße Schokolade zusammenstellt.




Nicht zuletzt hat mir Nanci heute ein Zimmer im Haus ihrer Freundin, der Mutter von Badys Frau, gezeigt, in das ich einziehen könnte, über airbnb und Anzeigen einer lokalen Zeitung, ein grandioser Tipp von Jenny, habe ich morgen weitere Besichtigungen potenzieller Zimmer vereinbart, und am Mittwoch ziehe ich um. Julio habe ich das bereits eröffnet und durch eine kleine Notlüge, dass ich wegen der neuen Stelle umziehen müsse, und ein wenig Standhaftigkeit geschafft, dass er nicht auf die Zahlung des ganzen Monats besteht. Zu wissen, dass ich nun bald hier raus bin, ist eine enorme Erleichterung.

Neue Beschäftigung, neue Unterkunft, neue Freunde - es ist wunderbar, in so kurzer Zeit die intensive Erfahrung gemacht zu haben, dass man selbst die Umstände aktiv beeinflussen und Veränderung bewirken kann. Und nun hoffe ich, dass sich alles zum Besseren wendet.

Dienstag, 24. Mai 2016

Tausende Salzbecken, regenbogenfarbene Berge und Entscheidungsschwierigkeiten

Um bloß keine Langeweile aufkommen zu lassen, wurde mir am Freitag vorgeschlagen, einen Teil der Kurse zu gestalten und die Einführung der Selbsteinschätzung zu übernehmen. Überfordert musste ich erklären, dass ich gerne erst einmal sehen würde, wie das normalerweise geschieht, und ärgerte mich im ersten Moment, die mir nun angebotenen Aufgaben nicht übernehmen zu können, jedoch wurde mir dann bewusst, dass das nicht an meinem Unvermögen liegt, sondern an den weder an meinen Kenntnisstand noch an mein Sprachniveau angepassten Aufgaben. Trotzdem war ich den ganzen Tag nicht besonders glücklich, und auch der Workshop am Abend, in dem zwei Kursteilnehmer ihre Geschäftsideen vorstellten, und das Mittagsmenü im vegetarischen El Encuentro mit Salat vom Buffett, Suppe und Hauptgericht konnten mich nicht recht aufheitern. Also entschloss ich, am Samstag mal ganz aus Cusco rauszukommen und stoß in meiner derzeitigen Lieblingsquelle für Unternehmungen in Peru und speziell Cusco über die Möglichkeit, ohne eine geleitete Tour zu den Salzterrassen von Maras zu fahren.




Morgens lief ich zu der Haltestelle, ab der die Combis nach Urubamba und Ollantambay abfahren. In einer Einfahrt steht ein Combi, der von hektisch winkenden und rufenden Männern befüllt wird, und sobald alle Fahrplätze voll sind, setzt sich der Bus in Bewegung und der nächste Wagen fährt in die Einfahrt. In wenigen Minuten war der Combi nach Urubamba voll, und für 6 Soles ging es los, mit Andenmusik, alter amerikanischer Chartmusik und sogar der spanischen Version von "Moskau", bis wir nach etwa einer Stunde die Abzweigung nach Maras erreichten, wo ich mich absetzen ließ. Auf dem Weg dahin war mir aufgefallen, was mir auch auf dem Weg nach Sicuani ins Auge gefallen war: insbesondere in den dünn besiedelten Gegenden wurde überall für Fujimori geworben, an Mauern und auf riesigen Plakaten, die so gar nicht in das landschaftliche Bild passen wollten - mit genügend Geld lässt sich so also der Wahlkampf bestreiten. An der Straßenkreuzung standen schon Taxis bereit, doch diese waren partout nicht bereit, mich nach Maras zu fahren, von wo ich zu den Salinas wandern wollte, stattdessen wollten sie mir Rundfahrten andrehen. Ein brasilianisches Pärchen wollte auch zu den Salinas und anschließend nach Moray, also einigten wir uns, dass sie die Taxirundfahrt machten und ich nur bis zu den Salinas mitkam und dafür 10 Soles dazusteuerte. Die beiden hatten für drei Jahre in Deutschland gelebt und die Frau war Psychologin mit dem Schwerpunkt Psychoanalyse. Einen ersten grandiosen Anblick auf die Salzterrassen hatten wir bereits von der Straße aus, doch als wir für 10 Soles die riesige Anlage betreten hatten, bot sich ein noch viel beeindruckendes Blick.



In einem Canon erstrecken sich an einem Berghang etwa 3000 von den Inka angelegten Salzterrassen, flache Becken, in die durch ein ausgeklügeltes Kanalsystem das Wasser einer salzigen Quelle geleitet wird, und in denen nach Austrocknen des Wassers durch die hohe Sonneneintrahlung nur das feste Salz zurückbleibt, das "Weiße Gold der Anden". Von den Inka waren die Becken gleichmäßig auf die Familien der umliegenden Regionen verteilt worden, und auch heute besitzen und bewirtschaften die Familien der Umgebung die Salinas.







Ich war sehr froh, nicht mit einem der Tourbusse gekommen zu sein, denn nach einer Führung blieb nur kurz Zeit, um ein paar Fotos zu schießen, und dann fuhren sie auch schon weiter. Ich entschied mich, einmal durch die Terrassen hindurchzulaufen, und nach wenigen Metern hatte ich alle Menschen hinter mir gelassen, und konnte die Ruhe und den Anblick genießen und erblickte dabei ein paar Peruaner, die gerade ihre Terrassen bewirtschafteten.






Als ich keinen Pfad mehr erkennen konnte, kletterte ich die Terrassen nach oben zurück und folgte dann einem Bergpfad hinunter ins Urubambatal. Durch ein kleines, wie ausgestorben wirkendes Dorf mit wenigen Bewohnern, einzelnen und teils unfertigen Häusern und dösenden Hunden, lief ich bis zu einer Hängebrücke und von dort über den Urubambafluss zur nächsten Hauptstraße. Statt ein Tuk-Tuk oder Collectivo zu nehmen, lief ich die 4 Kilometer die Hauptstraße entlang bis nach Urubamba, da ich noch Lust hatte, weiterzulaufen, und nahm gegen halb 3 einen Bus für 4 Soles zurück nach Cusco, der diesmal leider zwei Stunden für den Rückweg brauchte.







Da ich mittlerweile ziemlichen Hunger hatte, folgte ich einer der vielen Empfehlungen, die ich für Cuscos Gastronomie bekommen hatte, und aß im Fuego einen der vegetarischen Burger.



Mit nicht nachlassenden Kopfschmerzen lief ich zum Hostel und holte auf dem Weg bei einem Reisebüro die Preise für diverse Macchu Picchu-Treks ein, und zwei Türen vor meinem Hostel fiel mir ein kleines Reisebüro auf und ich entschloss, auch dort nach den Treks zu fragen. Ein paar Leute saßen auf einem Sofa, und fragten mich, ob ich nicht zum Rainbow Mountain wolle. Ich musste lachen, denn das hatte ich tatsächlich für diesen Tag überlegt, dann aber doch nicht gemacht, da es zu kurzfristig gewesen war. Ich meinte, dass ich generell schon hinwollte, aber nicht unbedingt sofort. Die anderen meinten, sie würden um 3 Uhr morgens losfahren und bräuchten noch ein paar Leute, außerdem würde ich doch bestimmt Freunde in Cusco suchen, und der Preis läge bei nur 50 Soles. Andere Reisebüros verlangen deutlich mehr, insbesondere da der Rainbow Mountain ein gerade aufkommender Trend ist. Bis vor wenigen Wochen galt er noch als Geheimtipp und nur während einer Tour um den Asangate, mit 6400 Metern der höchste Berg in der Region Cusco, besichtigbar, doch auf einmal wurde er bekannter und nun kleben bei allen Reiseagenturen auch Bilder des Vinicunca, die Ein- oder Zweitagestouren bewerben. Spontan entschied ich mich, mitzufahren, da mir die lockere Atmosphäre so gut gefiel, und kaufte mir auf den Straßen um den Markt ein paar Früchte und Avocados und im Supermarkt ein paar Müsliriegel und Wasser, da man tatsächlich nur den Transport bezahlte und keinen zusätzlichen Schnickschnack wie Mahlzeiten oder einen Tourguide.

Obwohl ich früh ins Bett gegangen war, hatte die Nacht für mich nur viereinhalb Stunden und ich traf um 3 Uhr morgens auf ein Pärchen aus Mainz, einen Italiener und einen Belgier, die bereits in der Agentur warteten. Zunächst erfuhren wir, dass die Abfahrt nun doch erst 3.30 Uhr sein würde. Der Raum füllte sich langsam mit anderen Mitfahrenden, hauptsächlich alternativaussehende Backpacker, die im zum Büro gehörigen Hostel untergebracht waren. Da eine Französin ihren Wecker nicht gehört hatte, verzögerte sich die Abfahrt nochmal, aber um 4 Uhr ging es dann endlich im Kleinbus los. Nach einem Zwischenstopp in einem kleinen Dorf als letzte Einkaufsmöglichkeit erreichten wir um 7.30 Uhr den Ausgangspunkt unserer Wanderung. Vor der Kulisse gewaltiger, rot gefärbter Berge wanderten wir zunächst an Lama- und Alpakaherden vorbei, über Bäche hinweg und über weite, noch vereiste Flächen mit vereinzelten Häusern Quechua-sprechender indigener Bevölkerung, in der Ferne der Gipfel des Asangate erkennbar. Dann stieg der Weg an, und schlagartig mit Anstieg der Höhe begann mein Kopf zu schmerzen und ich merkte, wie mir meine Schritte schwererfielen, augenblicklich wurde ich nun auch stetig von anderen überholt. Auf der linken Seite sah man nun bereits einen mehrfabigen Berg, und ich hätte jedem geglaubt, der mir erzählt hätte, dass dies bereits der angestrebte Berg sei.






Bis zur nächsten Ebene kam ich noch gut durch und hoffte, von dort das baldige Ende zu sehen - doch vor mir erstreckte sich eine weite Ebene und daran anschließend ein weiterer, steilerer Anstieg und weit hoch oben in der Ferne unser Ziel. Mittlerweile war mir von der Höhe auch übel geworden, und ich konnte nur langsam Schritt vor Schritt setzen und war trotzdem nach wenigen Schritten außer Atem. Bei jeder Pause wurden mir nun Pferde von den Einheimischen angeboten, die ich dankend ablehnte - ich wollte es alleine schaffen. Wenigstens traf ich nun endlich auf andere Leute, denen die Höhe auch so sehr zu schaffen machte, und gegenseitig versuchten wir uns zu motivieren - doch die Frustration zu wollen, aber nicht zu können, war deutlich spürbar. Das Ende des Wegs schien trotz der Anstrengung nicht näher zu kommen. Auf dem Gipfel tummelten sich mittlerweile schon Menschen, und ich war mir sicher, dort oben ganz sicher nicht anzukommen. Mit jedem Abschnitt, für den ich eine längere Pause brauchte, wurde die Versuchung größer, mich auf eines der Pferde zu setzen und zum Aussichtspunkt reiten zu lassen. Jeder Atemzug war anstrengend, ich hatte Sorge, mich jeden Moment übergeben zu müssen, der Schmerz in meinem Kopf war intensiv, und ich fragte mich, ob dieser bekloppte Regenbogenberg das wert sein würde und warum ich mich überhaupt so blauäugig auf diese Wanderung eingelassen hatte. Mittlerweile hatten mich alle anderen meiner Gruppe überholt, und ich musste all meine Kraft zusammennehmen, weiter zu laufen. Mental versuchte ich, mir selbst Mut zuzureden, doch zu schnelle Schritte ließen die Übelkeit nur schlimmer werden. Selbst die atemberaubende Umgebung konnte mich kaum noch motivieren, da ich so sehr mit mir beschäftigt war. Ich überlegte, vielleicht doch das nächste Angebot für ein Pferd anzunehmen, das mittlerweile für nur noch 5 Soles angeboten wurde, doch dann schien der verbleibende Weg absehbarer zu werden - und dann kamen die steilsten Meter, für die ich alle paar Schritte pausieren musste, während mir die ersten Rückkehrer bereits entgegenkamen.





Für die wenigen letzten Meter brauchte ich Minuten, in denen ich innerlich gegen Kopfschmerz und Übelkeit kämpfte, und in denen es zu schneien anfing, doch schließlich stand ich am Aussichtspunkt, schaute auf das vor mir liegende Tal, und sofort war mir klar: dieser Anblick war den Weg und die Anstrengung wert. In knalligen Rot-, hellen Blau- und sanften Gelbtönen eingefärbt, erstreckte sich auf der nun sichtbaren Seite des Rainbow Mountains ein Tal mit kleinen Seen.



Ein Blick zurück auf den Weg, den wir zurückgelegt hatten, war nicht weniger atemberaubend. Eine Weile genossen wir den Ausblick, doch ich konnte nicht umhin, immer wieder zum über uns liegenden Gipfel zu schielen. Die Französin und der Italiener erzählten mir, dass der Anstieg vergleichsweise leicht war und definitiv die letzten Mühen wert, doch die anderen, die mit der Höhenkrankheit gekämpft hatten, trauten sich die zusätzlichen Höhenmeter nicht zu. Ich gab mir einen Ruck und nahm mir vor, zumindest bis zur Hälfte aufzusteigen, das sah machbar aus. Der Wind zerrte nun noch stärker an mir und pfiff mir um die Ohren, da es links und rechts neben mir nur noch steil bergab ging und keinen Windschutz mehr gab, und auch die Kälte wurde nochmal deutlich intensiver. Nun machte sich zu allem Überfluss auch meine Höhenangst bemerkbar, denn dieser Weg war steil und rutschig, doch ich drehte mich vorsichtig um und war überwältigt - von hier aus sah man den Vinicunca und die seltsam surreale Symmetrie seiner Farbstreifen nun vollständig. So kurz vor dem endgültigen Ziel konnte ich nun nicht mehr aufgeben, und so stapfte ich die letzten Meter auch noch hinauf, und erreichte schließlich, womit ich nicht mehr gerechnet hatte, den Gipfel, der über 5000 Metern lag. Ein unbeschreibliches Gefühl überrollte mich bei dem Anblick, der sich mir auf einmal bot, eine Mischung aus überwältigtem Staunen, Glück, Erleichterung, Stolz, Freiheit und Sprachlosigkeit. In welche Richtung man sich auch drehte, sah man nun den Vinicunca, die Täler auf beiden Seiten und direkt vor uns, erstmals nicht mehr nur der Gipfel, der Asangate.






Jegliche körperliche Anstrengung und Kälte war vergessen, und immer wieder drehten wir uns im Kreis und betrachteten die Landschaft, die aussah, als hätte jemand zu einem überdimensionalen Pinsel gegriffen und sie bunt angemalt. Einige, die Macchu Picchu bereit besucht hatten, meinten, dass dies sie sogar mehr beeindruckte, da es nicht von Menschenhand gemacht war. Auch ich dachte mir, was für eine immense Schönheit der Natur dies war, und es fühlte sich an, als würde ich nie wieder etwas so Schönes sehen. Irgendwann mussten wir uns von dem Anblick lösen und die Rückkehr angehen, und nun bemerkte ich erst, wie steil der Weg zum Gipfel und zum Aussichtspunkt tatsächlich gewesen waren, da ich Probleme hatte, festen Halt zu finden. Ich war froh, als dieser Part geschafft war, und die Wanderung zurück fühlte sich an wie ein lockerer Spaziergang.




Der Belgier und ich liefen zufällig im gleichen Tempo, und gemeinsam tauschten wir uns über den erhabenen Anblick aus und unsere Glücksgefühle, etwas gefühlt Unerreichbares erreicht zu haben, durch eigene Kraft und den Willen, es zu schaffen. Er, dessen Namen ich genau so wenig weiß wie die der anderen, weil ich diese immer sofort wieder vergessen, meinte, dass dies für ihn das Reisen ausmachte: die eigenen Grenzen zu überschreiten. Nach ein paar Minuten stellten wir fest, wie still es auf einmal war - dadurch, dass sich die Menschen nun mehr über den Weg verteilten, hörte man kein Geplapper mehr, und als wir kurz innehielten, merkten wir, dass tatsächlich absolute Stille herrschte. Vor und hinter uns war niemand zu sehen, an unseren Seiten ragten mächtig und still die Berge empor, und man hörte rein gar nichts, außer dem schwachen Pfeifen des Windes. Ein wahnsinnig intensiver Moment. Jeder in seine eigenen Gedanken versunken stapften wir weiter und fanden irgendwann unser eigenes Tempo, und leider zog sich auch der Rückweg auf einmal dahin. Irgendwann ließ meine Übelkeit etwas nach, und auch meine Kopfschmerzen wurden weniger. Auf einem letzten steilen Stück knickte ich kurz um, was einen stechenden Schmerz in meinem Knie verursachte, der mich nun bei jedem Auftreten begleitete. Dann setzte der Regen ein, und es kostete mich meine letzte Anstrengung, zum wartenden Bus hinaufzutreten, doch nach insgesamt zweieinhalb Stunden ließ ich mich in meinen Sitz fallen und genoß die kurze Ruhephase, bis alle im Bus angekommen waren. Dann ging es auf huckeligen Wegen vier Stunden zurück nach Cusco, und innerhalb weniger Sekunden war der gesamte Bus, bis auf den Fahrer, eingeschlafen.




Witzigerweise traf ich das Pärchen aus Mainz am nächsten Morgen, als ich meine Wäsche in eine Lavanderia brachte, und dabei fiel mir wieder auf, wie oft mir das nun schon passiert ist: ein französisches Pärchen aus dem Bus in den Colca Canon habe ich auf dem Plaza de Armas in Cusco wieder entdeckt, ein amerkanisches Pärchen saß zweimal im gleichen Restaurant wie ich in Arequipa und nahm den gleichen Nachtbus nach Cusco, und viele Gesichter sind mir schon zweimal über den Weg gelaufen - und das in einem Land wie Peru, aber eben auf der sogenannten Gringo-Route und in den beiden angeblich schönsten Städten Perus, also vielleicht doch kein so großes Wunder.

Die überwältigenden Erfahrungen vom Wochenende hatten meine Stimmung deutlich stabilisiert, und so konnte ich deutlich rationaler und distanzierter in die zweite Praktikumswoche starten. Doch nach zwei Tagen ohne Aufgaben befinde ich mich bereits wieder in meinem Durcheinander aus Gedanken und Bauchgefühlen, die sich minütlich ändern und in gegensätzliche Richtungen schwingen, und weiß nicht, welche Entscheidungen ich treffen soll. Ich erhoffe mir viel vom zweiten Teil der Woche und werde wohl davon abhängig machen, ob ich bleibe oder abbreche. Die Arbeitsmoral wird sich wohl kaum unterscheiden nach einem Wechsel, aber bei dieser NGO ist die gesamte Teamatmosphäre verkorkst und die Frustration aller Teammitglieder deutlich spürbar. Diesen Freitag wird der Gewinner eines internationalen Start-Up-Wettbewerbs an unserem Standort ausgezeichnet - und die Einladungen wurden gestern und heute verschickt. Die Organisationsfähigkeit meiner Kollegen lässt mehr als zu wünschen übrig, und das sagen sie auch untereinander über sich. Aber hey, weil ich die schönste Schrift habe, durfte ich die sieben Briefumschläge beschriften. Das war bisher mein einziges ToDo. Ansonsten habe ich die Unterlagen übersetzt, Vokabeln gelernt und Reiseziele recherchiert. Leider kann mir meine Praktikumsagentur in Cusco keine Alternativen anbieten, ich könnte allerdings in Lima oder Iquitos ein anderes Praktikum beginnen - aber das würde bedeuten, dass ich Cusco jetzt schon wieder verlassen müsste, was sehr schade um die Touren wäre, die ich mir mittlerweile herausgesucht habe. Deswegen habe ich heute etwa zehn soziale Projekte in Peru angeschrieben, in der Hoffnung, dass eine ehrenamtliche Arbeit dort möglich ist - dann hätte ich eine echte Alternative zu meinem jetzigen Praktikum. Ein anderer Gedanken besteht darin, bei dieser NGO zu bleiben, aber mein Praktikum zu verkürzen. Eine weitere Überlegung von mir ist, statt einem Wechsel einfach alles abzubrechen, den Traum von einem Alltag in Lateinamerika zu verwerfen und stattdessen zu reisen - einfacher wäre das auf jeden Fall, weil man sich so nur die schönen Seiten Perus herauspicken könnte und ich mich nicht länger mit dem Aufeinandertreffen der Arbeitskulturen auseinandersetzen müsste.

Nun kommt zu dieser Unklarheit überflüssigerweise auch noch hinzu, dass der anfangs so nette Hostelbesitzer sich zu einer sehr seltsamen Person wandelt, die im einen Moment problembeladen und gestresst ist, und mir im nächsten Moment überschwängliche und unangemessene Komplimente macht, mit mir zusammen Bus fahren will und allen Ernstes den Rücken von mir eingecremt haben will. Deswegen fühle ich mich nun nicht mehr nur bei der Arbeit unwohl, sondern auch in meinem Hostel. Die Mitbenutzung der Küche habe ich diese Woche in Anspruch genommen, aber die Gegenwart dieses Menschen und meine kulinarische Unkreativität führen dazu, dass ich das Experiment, selbst zu kochen, wohl wieder aufgeben werde. Nach Wohnalternativen habe ich mich ebenfalls umgesehen, doch das stellte sich leider als ähnlich ernüchternd heraus, denn viele Möglichkeiten habe ich nicht, und meist wäre ein Mindestaufenthalt von einem Monat mit Rabatten verbunden, womit ich mich also wieder an Cusco binden würde. Zudem weiß ich noch nicht, ob ich meinen Mindestaufenthalt überhaupt verkürzen darf und wie viel Geld ich gegebenenfalls wiederbekommen würde. Zu guter letzt hängt die Entscheidung über meine Wohnsituation unweigerlich mit meiner Entscheidung über die Arbeitssituation ab, und ab da trete ich gedanklich auf der Stelle.

Am Ende des Tages drehe ich mich nach wie vor im Kreis und komme zu keiner Entscheidung. Passend zu meiner Stimmung regnet und hagelt es nun auch seit gestern immer wieder in Cusco, was ungewöhnlich für diese Jahreszeit ist. Gefühlt wird es auch immer kälter, deswegen habe ich mir heute einen "Maybe-Alpaka" Pullover gekauft - für 30 Soles vom Markt von San Blas ist es wahrscheinlich kein Babyalpaka, denn jene Pullover werden in den Edel-Alpaka-Geschäften für 300 bis 400 Soles verkauft. Da mir das aber klar war, ist es mir egal, und warm hält er trotzdem.