Sonntag, 19. April 2015

15.-19. Dezember – Die letzte Woche an der Uni

Kaum war ich wieder in Berkeley angekommen, wurde mir schlagartig bewusst, dass mein Auslandssemester sich rasant dem Ende zuneigte, zumindest die Zeit an der Universität. Obwohl mir das natürlich faktisch bewusst gewesen war, löste die nun angebrochene „letzte Woche“ ein Gefühl akuten Unwohlseins in mir aus, eine bedrückende Mischung aus Traurigkeit, Wehmütigkeit und einer seltsamen Rastlosigkeit. Ich hatte plötzlich das Gefühl, so viel noch nicht gesehen und erlebt zu haben - obwohl ich versucht hatte, jeden Tag voll auszunutzen. Das Wetter spiegelte meine mir selbst etwas schwer zu erklärende Frustration und Ruhelosigkeit wieder, es regnete ununterbrochen und in Strömen. Nur noch fünf weitere Tage blieben mir, um noch ein paar Dinge auf meiner Want-To-Do-Liste abhaken zu können, und die nutzte ich aus: ich besuchte die Bibliothek der Juristen, die mir als die schönste beschrieben worden war, um mich dort auf mein Final Exam am Dienstag vorzubereiten. Da dieses Vorhaben scheiterte, fand ich mich schließlich doch in der wohl  hässlichsten Bibliothek auf dem Campus wieder, der Moffitt Undergraduate Library. Ich sah einige Freunde zum letzten Mal: am Dienstag besuchte ich Abimbola im Haus seiner Gastfamilie, nach unserem gemeinsamen Fitness-Kurs nahm mich Rebecca mit zum Abendessen in ihre Sorrority, die sie mir schon lange hatte zeigen wollen (die Bewohner des wunderschönen alten Hauses oben auf den Hügeln in der Nähe des Stadions werden jeden Abend von einem eigens für das Haus zuständigen Koch mit einem leckeren Büffet versorgt, und jede Woche darf man einen Gast mitbringen, wenn man möchte), abends ging ich mit Riad ins Kino. Am Mittwoch tranken Kristina und ich einen letzten Kaffee in einem unserer Lieblingscafés schräg gegenüber des Campus, anschließend gingen Andy und ich in ein indonesisches Restaurant, das mir auch schon vor längerer Zeit empfohlen worden war, und ich nahm ihn mit zum Contradance, bei dem ich ebenfalls ein letztes Mal die besondere und ausgelassene Stimmung aller Anwesenden genoss und mich innerlich von der Contradance-Community verabschiedete.

Da ich am Mittwochvormittag die Stoffaufbereitung für mein letztes Final Exam am Freitag zu meiner Zufriedenheit abgeschlossen hatte, stand mir der Donnerstag zur Verfügung, um einen länger geplanten Trip mit Bianca umzusetzen. Wir trafen uns morgens an der Downtown BART-Station und fuhren statt bis nach San Francisco nur bis nach Oakland, liefen dort bis zum Fährenhafen und setzten mit einer Fähre nach San Francisco über. Der Himmel war grau und diesig, die Skyline der Stadt erhob sich fast etwas mystisch aus den tiefen Wolken heraus.
Statt an den Embarcaderos stiegen wir erst am Fisherman’s Wharf aus und suchten eine Fahrradvermietung auf, bei der Bianca sich ein Fahrrad für den Tag ausleihen konnte; ich hatte meines aus Berkeley mitgenommen.
Und dann konnte es losgehen: an der Promenade entlang fuhren wir in Richtung der Golden Gate Bridge, mit vielen Zwischenstopps, bei denen sich uns malerische Ausblicke auf Bay und Brücke boten. Kaum saßen wir im Sattel, klärte der Himmel sich auf und die Sonne strahlte mit für die letzten Tage ungewohnter Kraft durch die sich verziehenden Wolken hindurch. Es war eine wunderschöne Radtour, und Bianca und ich verstanden uns blendend und redeten über Gott und die Welt. Einmal mehr war der Austausch über unsere Heimatländer – Deutschland und China – für beide von uns bereichernd und anregend. 


Schließlich hatten wir die Golden Gate Bridge erreicht und überquerten sie, allerdings zu Fuß, denn auf der einen für Nicht-Autofahrer zugänglichen Seite drängten sich Fußgänger, Läufer und Radfahrer. Auf der anderen Seite angekommen genossen wir den uns beiden schon bekannten Blick auf die Bridge, entschieden uns aber zum Glück noch, die Hügel ein wenig hinaufzufahren.

 
Dort bot sich eine uns neue Perspektive auf die Golden Gate Bridge, die ich noch nicht gekannt hatte, und insbesondere durch das Zusammenspiel mit dem Licht der Sonne empfand ich diese Sicht als die schönste. Etwas tiefer gelegen befindet sich eine ehemalige Militäranlage, auch von dort aus besichtigten wir die Brücke nochmals und befanden auch diesen Blickwinkel als viel schöner als jene von der Stadt aus und direkt hinter der Brücke.

 









Nach einem Imbiss in der Westküsten-Kette In’N’Out fuhren wir wieder nach Berkeley. Dort kam ich perfekt in der Zeit an, um mich im People’s Café mit Jasmijn zu treffen. Einige Zeit zuvor hatte ich Anfragen in diversen Facebookgruppen gestartet, um andere Reisewillige zu finden, die Anfang Januar mit mir die Westküste erkunden würden. Gefunden hatte ich Jasmijn, die parallel das gleiche versucht hatte. Zusammen mobilisierten wir ein Dutzend Interessenten in ganz Kalifornien, und versuchten, einen gemeinsamen Plan zu erstellen. Da dies über das soziale Netzwerk als Kommunikationsmedium eher weniger gut funktioniert hatte, entschieden wir, dass ein Erstkontakt von Angesicht zu Angesicht hilfreich sei, und verabredeten uns mit Kaichi, einem weiteren Interesstenten, für jenen Abend, um Eckpunkte für unsere bevorstehende Reise festzulegen. Obwohl wir uns nie zuvor gesehen hatten und uns im Grunde völlig fremd waren, verstanden Jasmijn und ich uns auf Anhieb. Wir waren in der exakt gleichen Situation: beide hatten wir ein Auslandssemester in Berkeley hinter uns, und nachdem uns unsere Familien über Weihnachten besuchen und wir mit ihnen ebenfalls reisen würden, blieb noch etwas Zeit im Januar, in der wir noch mehr entdecken wollten. Dabei wollten wir beide so viel wie möglich sehen, und deswegen ein Auto mieten, abgesehen davon war uns wichtig, dass ein paar Stationen des Trips klar waren, der Zeitplan aber an sich spontan und flexibel blieb. Wir hatten ein paar Städte im Kopf, die wir gern sehen würden, und wollten aber auch Nationalparks und die Natur nicht zu kurz kommen lassen. Bezüglich der Schlafmöglichkeiten waren wir entspannt – sollten wir keine Couchsurfer oder Freunde finden, würden wir eben ein Motel buchen oder im Auto schlafen. Wichtig war uns vor allem, dass wir mit Einwohnern in Kontakt kamen und Spaß haben würden. Nachdem wir noch einige weitere Gemeinsamkeiten entdeckt hatten, stellten wir aufgrund der Begegnung mit Kaichi auch schnell fest, dass wir ähnliche Eindrücke von Menschen hatten und den gleichen Sinn für Humor. Kaichi hatte sich nämlich zunächst etwas zu essen geholt, setzte sich zu uns, ließ mit einer kauzigen Art heraushängen, dass er viel älter als wir sei und deshalb beispielsweise zu alt, um feiern zu gehen, und erklärte klipp und klar, er hätte Lust, Ski zu fahren. Jasmijn und ich antworteten, dass wir auf so ziemlich alles Lust hätten – nur nicht Ski fahren. Das Gespräch war somit nach fünf Minuten beendet und es war klar, dass wir nicht zusammen fahren würden. Leider hatte Kaichi noch eine gesamte Mahlzeit vor sich stehen, und so waren wir gezwungen, noch weiter beisammen zu sitzen, was sehr seltsam, aber im Nachhinein auch sehr lustig war. Beschwingt und überrascht, wie gut wir beide zusammenpassten, gingen wir auseinander und freuten uns nun beide riesig auf den 2. Januar, der zuvor ins uns beiden wegen der Unsicherheit, was dann passieren würde, etwas Unruhe ausgelöst hatte, nun aber für Vorfreude und Aufgeregtheit sorgte.
Schließlich kam er unausweichbar: der letzte Freitag, an dem ich zum Campus fahren würde. Der Tag war hektisch gewesen, ich hatte morgens noch aufgeräumt und geputzt, mich schnell nochmal vor meine Notizen gesetzt, und war durch den Regen bedingt gezwungen, mit dem Bus zu meiner letzten Klausur zu fahren. Da eines meiner Lieblingsthemen für den zu schreibenden Essay ausgewählt wurde, war es eine entspannte Klausur – im Gegensatz zu der vorherigen am Dienstag, bei der ich aufgrund meines mittlerweile völlig außer Rand und Band geratenen Schlafrhythmus dauernd eingenickt und deswegen überzeugt gewesen war, eine meiner schlechtesten Leistungen in einer Prüfung abgeliefert zu haben.
Mein Gefühl nach dem Exam am Freitag war ein komisches, undurchdringlich und unwirklich. Immer noch regnete es in Strömen, der Himmel hing grau über Berkeley, und dies verstärkte meine Stimmung. Ich nahm mir nicht viel Zeit, um Abschied zu nehmen, auch im Bewusstsein, dass ich durchaus noch ein paar Mal auf dem Campus sein würde, bevor es nach Deutschland zurückginge, nur eben nicht mehr in Kursen. Ich ging ein letztes Mal ins Fitnessstudio und versuchte, dem „letzten Tag“ nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Sehr hilfreich war dabei, dass ich zunehmend aufgekratzter und hibbeliger wurde, je näher der Abend rückte. Und schließlich war es dann endlich soweit, und ich machte mich auf den Weg zum Flughafen…

Samstag, 21. Februar 2015

Kulturausflug nach Pittsburgh

Leider erreichte ich Pittsburgh mit vierstündiger Verspätung, da es in Phoenix technische Probleme gegeben hatte und wir dreimal das Flugzeug hatten tauschen müssen, einmal sogar, als schon alle Passagiere saßen.
Nichtsdestrotrotz: meine ehemalige Gastfamilie wiederzusehen war wundervoll. Auf dem Weg vom Flughafen nach Hause versprach mir Nashas Mann Alexis eine fabelhafte erste Sicht auf die Stadt am Ende eines Tunnels, den wir durchquerten - und er behielt recht. Eine Skyline, wie man sie sich vorstellt, wenn man über Amerika spricht, allerdings inmitten von Wasser, in dem sich die vielen Lichter widerspiegeln, und eine unerwartet große Anzahl von Brücken. Ich sollte noch lernen, dass Pittsburgh auch als "City of Bridges" bezeichnet wird - mit sogar mehr Brücken als Venedig, 446 an der Zahl. Zuhause angekommen erhielt ich sogar mein eigenes Zimmer - was für ein Luxus! Vor einigen Jahren waren sie wegen Nashas neuem Ehemann nach Pittsburgh umgezogen, die Inneneinrichtung und Farbauswahl im Haus erinnerte mich aber sehr an ihr altes Zuhause in Portland. Es stelle sich jedoch heraus, dass es nicht schlecht war, dass ich alleine schlief, denn mein schon vor der Abreise ziemlich nach hinten verschobener Schlafrhythmus ließ mich nun bis in späte Nacht aufbleiben - drei Stunden Zeitverschiebung sind es von der West- and die Ostküste immerhin!
Am Montagmorgen war es dann endlich soweit und ich sah Tylda wieder, die nicht mit zum Flughafen hatte kommen können. Nachdem wir uns gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht und Musik gezeigt hatten, waren wir in der Café-Kette Crazy Mocha, deren Logo ich nach wie vor superlustig finde.
Nachmittags musste ich leider an einer meiner Hausarbeiten weiterschreiben, die dafür dann aber fertig war und abgeschickt werden konnte. Da ich über Lösungsansätze für das Problem der unfairen Kleidungsherstellung geschrieben hatte, schlug Nasha vor, den Film Zoolander zu schauen, der inhaltlich genau daran anknüpfte und ansonsten herrlich albern war.
Als es um das Abendessen ging, fragte Nasha mich, ob ich Black Eyes Peas mag, und ich antwortete, dass ich sie schon okay fände, ob sie Musik hören wolle. Sie lachte sich halb schlapp - eigentlich hatte sie wissen wollen, ob ich diese bestimmte Bohnenart mag!

Da Tylda am Dienstag einige Termine hatte, verbrachte ich den Nachmittag im Andy Warhol Museum, das weltweit größte Museum über nur einen Künstler. Wie schon im van Gogh-Museum in Amsterdam fand ich es sehr bereichernd, mich ausschließlich mit einem Künstler zu beschäftigen, etwas über sein Leben zu lernen und es in Verbindung zu setzen mit den verschiedenen ausgestellten Werken, um es so versuchen zu verstehen - neben seinen berühmten Pop Art-Porträts auch Fotografien, Installationen, Videos, Skulpturen und viele Möglichkeiten, mit seiner Arbeit zu interagieren oder selbst aktiv zu werden. Abends waren wir zum Essen bei Anna & George, Freunden von Nasha und Alexis, eingeladen. George, der aus Griechenland kommt, kochte die beste Moussaka, die ich jemals gegessen habe. Darüberhinaus habe ich die entspannte Atmosphäre, die teils flapsigen, teils aber auch ernsthaften Gespräche und wieder einmal die ungemein herzliche und willkommenheißende Gastfreundschaft sehr genossen. Anna hat uns sogar noch in ihren Kleidersäcken stöbern lassen, die sie zum Secondhand Shop bringen wollte, und wir konnten noch ein paar schöne Teile ergattern.
Am Mittwoch schließlich hatten Tylda und ich dann wieder mehr Zeit für uns, und nachdem wir in der National Aviary, in der sie mal freiwillig gearbeitet hatte, die vielen verschiedenen Vögel bewundert hatten, schauten wir uns Downtown an.


Das war allerdings eher enttäuschend. Abgesehen von der bitteren Kälte würde es wohl auch bei besserem Wetter nicht viel mehr Spaß bereiten, durch die langweiligen, von Hochhäusern gesäumten, unaufregenden und unspektakulären Straßen Downtowns zu laufen. Statt interessanten Häusern, bunten Hauswänden und kleinen, Atmosphäre einhauchenden Cafés und Lädchen wie in San Francisco sind in Pittsburghs Downtown ausschließlich Ketten und triste Gebäude vorzufinden.


Selbst in der Universitätsgegend konnte mich Pittsburgh nicht so recht von seinem Charme überzeugen, doch vielleicht lag es auch schlicht und ergreifend an dem düsteren Licht und den wenigen Menschen auf der Straße. Ich schaute mir die Cathedral of Learning an, das zweithöchste Universitätsgebäude der Welt, und von innen sieht es in der Tat sehr schön aus.

Leider konnte ich im oberstem, vierzigsten Stock nicht durch die Fenster schauen, doch der Blick ein paar Etagen darunter ließ mich vermuten, dass ich nicht allzuviel verpasst hatte. Wirklich großartig allerdings fand ich die Conflict Kitchen, eine zunächst einmal unscheinbare Bude auf dem großen Platz zwischen Universität und Bibliothek. Dort werden Gerichte aus einem Land angeboten, mit dem die USA derzeit in einer Krise steckt. Als ich dort war, wurden palästinensische Gerichte serviert, die Betreiber verrieten mir, dass als nächstes mal wieder kubanisches Essen auf dem Programm steht.

 Am nächsten Tag entdeckte ich eine Gegend Pittsburghs, die mir um einiges besser gefiel. Tylda zeigte mir die Filmschule, auf die sie geht, und in der Zeit, in der sie ihre Kurse besuchte, lief ich für ein paar Stunden herum. Hier fand ich nun endlich ein paar einladend aussehende Cafés sowie interessante Graffitis.


Abends zeigte uns Alexis seinen neuen Kurzfilm, der mittlerweile auch Premiere hatte, und der mich sehr beeindruckt hat, da Alexis die Puppen, die Musik, die Texte, die Requisiten und das Bühnenbild, die Aufnahmen und die gesamte Recherche selbst kreiert hatte. Während der Vorstellung würde der Film als Stummfilm ablaufen und er ihn live musikalisch begleiten. Dies war jedenfalls der Anfang einer wieder etwas längeren Nacht, in der ich meine zweite Hausarbeit endlich fertigstellte.
Da Tylda am folgenden Sonntag Geburtstag haben würde, lud ich sie am Freitag ins Kino ein, und abends gingen wir alle in eine Performance einer Freundin von Alexis, die zum Glück nicht nur ich eher abgefahren und ermüdend fand. Lediglich das dahinterstehende Konzept gefiel mir sehr - Interessierte kaufen sich die Karten für ein Jahr im Voraus, so finanzieren sich bis zu 6 Kunstprojekte im Jahr, die dann realisiert werden.
Am Samstag zeigte mir Tylda ihr Lieblingsmuseum, das Carnegie Art & Natural Museum, in dem wir tatsächlich den ganzen Tag verbrachten, soviel gab es dort zu entdecken! Berühmt ist es unter anderem für seine große Dinosaurierknochen-Sammlung.





Wir ließen den, leider auch schon letzten, Abend zu viert bei einem vorgezogenen Geburtstagsdinner in einem wunderbaren Restaurant ausklingen und feierten Tyldas und sogar schon meinen Geburtstag.

Tyldas Geburtstag selbst verbrachten wir ganz entspannt mit Geschenke auspacken und dem grandiosen Film "Das große Krabbeln". Dann hieß es auch schon wieder Abschied nehmen. Wir konnten alle nicht so recht glauben, wie schnell die Zeit vergangen war, da wir uns so gut verstanden und eine so schöne Zeit miteinander verbracht hatten.

Montag, 9. Februar 2015

Die letzte Uniwoche, die ersten Abschiede und Adventsstimmung

Nachdem ich an Thanksgiving Kraft getankt hatte für den letzten Schwung an Finals und Assignments, verbrachte ich das restliche Wochenende in einem sehr gemütliche Café in Campusnähe und beschäftigte mich mit meinen Hausarbeiten. Sich mit Laptop bewaffnet in Cafés zu setzen und für die Uni zu arbeiten, scheint mir in Deutschland weniger verbreitet zu sein, ist in Berkeley hingegen gang und gäbe. Mir gefiel die Atmosphäre besser als in der Bibliothek: es war still, da wirklich fast alle Anwesenden arbeiteten, aber nicht so unangenehm gedämpft wie in einer Bibliothek, die Musik dudelte leise vor sich hin, und falls man zwischendurch einen Kaffee oder einen Snack brauchte, musste man nur ein paar Schritte zum Tresen laufen. Obwohl das Wochenende also weniger aufregend war, überkam mich doch kein allzu wehmütiges Gefühl beim Blick nach draußen – da erblickte man nämlich nur den unnachgiebig starken Schauerregen und grauen Himmel.
Ähnlich wie am Wochenende ging es dann auch in der darauffolgenden Woche weiter – das Wetter blieb beständig schlecht und ich musste zwei Assignments abgeben und mein erstes Final Exam schreiben. Dafür lernte ich am Abend vorher noch mit Roshny, einer Freundin, die ich in dem entsprechenden Kurs kennen gelernt hatte, im Student Learning Center. Dies ist ein riesiger Raum in einem Campusgebäude, der 24 Stunden am Tag und 6 Tage die Woche offen hat. Und Gerüchten zufolge befinden sich auch wirklich immer Studierende dort.
Wir gingen unsere Notizen einmal durch und gingen relativ entspannt in die Prüfung, da es sich bei dieser nur um einen Multiple Choice-Test handelte. Da in den Kurs etwa 700 Studierende eingeschrieben waren, war die Prüfung die reinste Massenabfertigung – im Vorhinein musste man sich einen Papierbogen kaufen, der maschinenlesbar ist und auf dem man bis zu 100 Multiple Choice-Fragen beantworten kann; wichtig war, dass man zum Ankreuzen nur einen Bleistift mit einer bestimmten Härte verwendete. Zu Beginn der Prüfung bekam jeder einen eigenen Papierbogen mit individuell zusammengewürfelten Fragen, die es dann auf dem sogenannten Scantron zu beantworten galt. War man fertig, brachte man dann beides nach vorne, und dort erwartete mich ein witziges Bild; aufgrund der vielen Prüflinge waren Stapel von A bis Z gebildet worden, die sich über das gesamte Podest erstreckten, und man musste seinen Scantron auf den entsprechenden Stapel legen. Unerwarteterweise war die Prüfung am Ende kniffliger als gedacht und ich machte mir sogar kurz Sorgen, ob es zum Bestehen gereicht hatte – dem war aber zum Glück so.

Abgesehen davon war die Woche von einem seltsamen Gefühl begleitet, denn es war meine letzte richtige Uni-Woche. Neben den vielen letzten Kursen und ersten Abschieden nahm ich an meinem letzten General Meeting von Rotaract teil und hatte ein Abschlussdinner mit meinem Committee in einem sehr leckeren Sushi-Lokal.
Yvonne hatte mir zum 1. Dezember tatsächlich einen Adventskalender geschenkt, und ich hatte mir eine kleine Filztanne weihnachtlich geschmückt, um mein Zimmer ein wenig weihnachtlich aussehen zu lassen, doch um noch die letzte gemeinsame Zeit mit meinen Freunden zusammen zu genießen, als auch ein bisschen Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen, beschloss ich, am Donnerstag einen Adventsabend zu veranstalten und ein paar deutsche Traditionen zu zelebrieren, die die Amerikaner so nicht kennen und die ich sonst vermisst hätte. Mit Andy hatte ich am Montag davor ein leckeres Essen gekocht und anschließend schon ein geeignetes Plätzchenrezept aus Yvonnes deutschem Weihnachtsbäckerei-Buch herausgesucht. Kristina, Angel, Rebecca und ihre Mitbewohnerin, Andy und Maximilian kamen vorbei, Faye stieß auch dazu, und untermalt von Weihnachtsmusik versuchten wir uns am selbstgekochten Glühwein, stachen Plätzchen aus und verzierten und vernaschten diese danach. Es war ein sehr schöner, sehr gemütlicher Abend, der uns auch alle ein bisschen in weihnachtliche Stimmung brachte.

Am Freitag stattete ich nach nur sehr wenig Schlaf abends dem Deutsch-Stammtisch noch einen Besuch ab und lernte just ein paar sehr liebe Mädels aus Deutschland kennen, mit denen Angel, Maximilian und ich anschließend noch einen Crêpe-Laden in Berkeley testeten.  Der Abend endete für mich jedoch nach dem Fitnessstudio noch im Student Learning Center, da meine Hausarbeiten noch immer nicht fertig geschrieben waren und ich den Samstag nicht vorm Laptop verbringen wollte. Stattdessen traf ich mich morgens mit Riad in San Francisco – wir hatten uns im Trader Joe’s kennen gelernt, als er mich nach einer von mir an den Angestellten gerichteten Frage ansprach, ob ich aus Deutschland sei, er könnte nämlich auch fließend deutsch, weil seine Oma daher stammt. Nachdem wir einen leckeren, typisch amerikanischen Brunch genossen hatten, zeigte er mir den Mission Dolores Park – ein wunderbarer Park, von dem man aus einen ganz fabelhaften Blick auf Downtown hat. Die Wiese war noch etwas schlammig und glitschig vom Regen der vergangenen Tage, also prophezeite ich: "Ich falle bestimmt gleich hin." Und flatsch, kaum war es gesagt, da lag ich auch schon mitten im Matsch - sehr gute Aktion. Sobald wir saßen, konnten wir den Blick und das Wetter genießen; die Sonne schien, die Leute um uns herum saßen im Gras, sonnten sich und ließen es sich gut gehen – und das taten wir auch und stießen mit einem Gläschen Weißwein an. In dieser Gegend ist das tatsächlich möglich, an sich ist öffentliches Trinken von Alkohol in den USA illegal. Witzig war der Vormittag zudem, weil ich mich mal wieder von meiner besten Seite präsentierte. Als wir über New York sprachen und was wir dort unternommen hatten, meinte ich, dass wir auf dem hohen Gebäude waren, kam aber nicht auf den Namen: "Wie heißt denn das Gebäude, es fängt mit 'M' an?" - "Empire State Building?"- herrliche Situationskomik.


Nachdem Riad zur Arbeit musste, machte ich mich auf den Weg zurück zur Powell St., wo ich Andy traf. Auf der Market St. wurde eine Kundgebung anlässlich des Ferguson- und Garner-Falls abgehalten, jedoch lief diese sehr friedlich und vergleichsweise ruhig ab. Spontan entschieden wir, dass wir gerne die Twin Peaks sehen würden und dachten, dass diese sicherlich entspannt zu Fuß zu erreichen wären. Weitaus später als erwartet erklommen wir schließlich in der Dämmerung einen der beiden nebeneinander liegenden Hügel im Westen San Franciscos – und wurden mit einer unglaublichen Sicht auf San Francisco bei Nacht belohnt. Die zweite Flasche Wein an diesem Tag wurde geköpft, und auf einem Fels sitzend genossen wir den Blick und aßen Plätzchen. Auf jeden Fall ein ulkiger Nikolausabend.


Auf dem Rückweg waren wir nicht erpicht darauf, den ganzen Weg wieder laufen zu müssen, also fragten wir einen Autofahrer, ob er uns wohl bis runter mitnehmen könnte – auch dies ist eine Sache, die ich mich in Deutschland nicht nur weniger trauen würde, sondern die wohl auch weniger wahrscheinlich funktionieren würde. Wir entschieden uns, mit der MUNI, eine Art Straßenbahn, die ober- und unterirdisch in San Francisco verkehrt, ins Castro Viertel zu fahren, wo wir ein vorzügliches mediterranes Restaurant entdeckten, das ich auch aus Berkeley kannte. Bevor ich mich auf den Weg zurück machte, ließen wir es uns nicht nehmen, noch einen Abstecher zum mittlerweile weihnachtlich dekorierten Union Square zu machen und dort ein paar kitschige Fotos aufzunehmen – wirklich furchtbar kitschig - um uns anschließend darüber kaputt zu lachen.

Wieder in Berkeley angekommen, radelte ich zurück nach Hause und war etwas verwirrt, da mir ständig Polizeiautos über den Weg fuhren, viele Kreuzungen abgesperrt waren, und ich einmal an einem Grüppchen junger Leute vorbeifuhr, das von einer Menge Polizisten umgeben war. Zuhause klärte Jed mich auf: am Nachmittag hatte es große Proteste in Berkeley gegeben, an denen sich hauptsächlich Studierende beteiligt hatten. Sie hatten sich gegen die willkürliche Polizeigewalt gerichtet, die sowohl in Ferguson als auch im Fall von Eric Garner eingesetzt worden war und zum Tod zweier Menschen geführt hatte. Vor allem aber war es nicht zu einem fairen Prozess gekommen, sondern die verantwortlichen Polizisten waren ohne gerichtliche Rechtfertigung davongekommen. Zwischenzeitlich war die BART nicht benutzbar, die Straßen waren gesperrt, aber es war weitgehend friedlich. Bis Randalierer beschlossen, Scheiben einzuschlagen und Läden zu plündern, mitunter Trader Joe's und Whole Foods, zwei der großen Supermarktketten in Berkeley, einer der beiden bei uns Zuhause um die Ecke. Daraufhin eskalierte die Situation offensichtlich, die Polizei schoss mit Gummikugeln auf Demonstranten, um die Menge zurückzutreiben, und setzte Tränengas ein. Kurzum, es war ein einziges Chaos an diesem Abend in Berkeley, und bis weit nach Mitternacht flogen die Hubschrauber über meinen Kopf hinweg. Die Proteste hielten noch die gesamte Woche an, insbesondere gegen Polizeigewalt wurde nun auch wegen der eigens gemachten Erfahrungen demonstriert, und führten zu teils mehr, teils weniger chaotischen Zuständen in der Stadt. Von alledem bekam ich aber persönlich nichts mehr mit - ich saß am Sonntagmittag nämlich bereits in meinenem Flugzeug Richtung Ostküste! Ein paar Wochen zuvor hatte ich mich mit meiner ehemaligen Gastfamilie in Verbindung gesetzt, bei der ich 2010 ein paar Wochen in Portland, Oregon verbracht hatte und die uns auch in Leipzig besucht hatte, nachdem meine Gastschwester Tylda ebenfalls ein paar Wochen bei uns gelebt hatte. Die zweite Dezemberwoche passte perfekt, denn mir standen nicht viele Finals bevor in der letzten Studienwoche, und die vorletzte Woche, die sogenannte 'RRR week', stehend für 'Reading, Review, Recitation week' und umgangssprachlich auch 'dead week' genannt, dient den Studierenden ausschließlich der Vorbereitung auf die Finals. Somit entschloss ich kurzerhand, der 'dead week' zu entfliehen und zu verreisen statt zu lernen. Und so stattete ich Tylda sowie ihrer Mutter Nasha einen Besuch in Pittsburgh, Pensylvannia ab, wo sie mittlerweile hingezogen waren. Aber dazu mehr im Folgenden...

Ein überfälliges Lebenszeichen


Falls sich schon jemand Sorgen gemacht haben sollte: ich bin wohlauf, lediglich durch eine Entzündung der Bronchien etwas außer Gefecht gesetzt. Während ich diese Zeilen schreibe, befinde ich mich bereits zurück im kalten, grauen Deutschland. Mehr als zwei Monate ist mein letzter Eintrag nun her, und dass ich seitdem meinen Blog so vernachlässigt habe, liegt nicht daran, dass ich nichts zum Schreiben gehabt hätte; ganz im Gegenteil ist in diesen zwei letzten Monaten wahnsinnig viel passiert. Ich habe die unglaublichsten Menschen kennen lernen dürfen, aufregende und abstruse Abenteuer erlebt und definitiv ein paar gute Stories zum Erzählen. Doch dadurch bedingt saß ich nur sehr selten länger als nötig am Laptop, und somit hat sich das Aufschreiben des Erlebten immer weiter verzögert – bis ich es schließlich gar nicht mehr gemacht habe. Da mir diese Einträge aber auch als persönliche Erinnerung dienen sollen, werde ich nun chronologisch das Geschehene Revue passieren lassen und fortfahren im gewohnten Stil. Aufgrund meiner physischen Anwesenheit in Deutschland darf man sich fortan aber auch auf persönliche Erzählungen freuen - ich zumindest freue mich sehr darauf.