Freitag, 3. Juni 2016

Vormittags Inka-Ruinen bestaunen, nachmittags Windeln wechseln

Am Montag lief ich den ganzen Vormittag durch die Stadt und sah mir fünf Zimmer an - zwischen Nichtbeantworten der Klingel, versifften Buden, netten Bekanntschaften und schönen Zimmern war alles dabei. Am Ende entschied ich mich für ein Zimmer in einem dritten Stock, bei dem ich Küche und Bad mit der Nichte der Vermieterin und möglicherweise einer dritten Person teile, denn ein Zimmer steht frei. Die einfache, offene und ausreichend saubere Wohnung verfügt sogar über eine kleine Sonnenterrasse, doch ausschlaggebend für meine Entscheidung waren die Dachschrägen und das transparente Dach, die ermöglichen, dass sich die Räume tagsüber aufheizen und abends nicht arg so kalt werden. Am Mittwoch bin ich eingezogen. Das Haus ist nahe des Plaza San Pedro, sodass man sich mittags schnell eine frittierte Yucca von einer der Straßenverkäufeinnen und einen Saft vom Markt kaufen kann.







Meine ersten Tage im Casa Mantay waren super, ich war diese Woche in der Kinderkrippe, also bei den Kindern unter drei Jahren, und es ist eine sehr schöne und lohnende Beschäftigung - obwohl es auch ein bisschen anstrengend werden kann, wenn beispielsweise ein Baby schreit, und vier weitere schreien aus Prinzip mit, oder wenn man dem Wackelpudding auf dem Boden nach dem Essen nicht mehr ausweichen kann und das Glibberzeug von Tischen, Stühlen, Böden, Kleidung, Schuhen und Babys selbst entfernen muss. Da die zehn Babys von einer fest angestellten Erzieherin betreut werden, unterstützen wir Freiwilligen im gesamten Tagesablauf: spielen, essen und windeln. Meine Ekelschwelle ist schon weit gesunken - vollgekackte Stoffwindeln, die auf einen Haufen mit dreckiger Kleidung geschmissen und gewaschen werden, selten gewechselte Schwämme statt Feuchttüchern, halbaufgelöste Papierschnipsel, die man mühevoll aus Babymündern entfernen muss oder abgeknabberte und vollgesabberte Hühnerfüße, die in meine Hand gelegt werden - alles kein Problem. Die Kinder sind großartig, lachen viel, sind offen und haben mich von Anfang an wild umarmt und mit mir gespielt.

Da ich diese Woche für die Nachmittage eingeteilt wurde, konnte ich die Vormittage nutzen, um Cusco weiter zu entdecken oder entspannt auf der Sonneterrasse zu sitzen. Ich fühle mich wieder mehr Zuhause, kann von anderen unbemerkt meinem eigenen Tagesrhythmus folgen und wieder frühstücken, worauf ich Lust habe - das Hostelfrühstück aus luftigen, harten Brötchen mit Butter und Marmelade hat mich schon langsam angeödet. Am Dienstagvormittag habe ich mir den Qurikancha angesehen, den ehemaligen Haupttempel der Inka, der von den Spaniern geplündert und zerstört wurde, um an seiner Stelle die Iglesia Santo Domingo zu errichten. Ein paar Inkamauern wurden allerdings in den Bau integriert und so lässt sich die bewundernswert exakte und fugenlose Bauweise der Inka dort noch heute betrachten - wie auch an der Mauer des ehemaligen Palastes des Inca Roca mit dem zwölfeckigen Stein, die ich an meinem Tag gesehen habe.



Anders als die Mauern der Kirche hielten die Inkamauern auch schweren Erdbeben in der Vergangenheit stand. In einem Raum waren einige Gemälde der Cuscoschule ausgestellt. Ich finde es immer wieder spannend, wie die indigene Bevölkerung zwar nach europäischem Vorbild gemalt hat, bestimmte Darstellungen und Symbole jedoch gezielt eingesetzt hat, um das Evangelium verständlicher zu machen - so zum Beispiel das Jesuskind wie in den Anden üblich in Tragetücher eingewickelt, Lamas statt Kamelen, Meerschweinchen auf den Tellern und - wie ich hier zum ersten Mal sah - die Trinität dargestellt als drei identisch aussehende Personen oder zwei Männer und eine Taube, letztere den heiligen Geist symbolisierend. Da die Inka an viele Götter glaubten, war das abstrakte Konzept eines Gottes in drei Wesensformen schwer begreifbar.







Auf der Suche nach einem Mittagsessen lief ich zufällig am Museo de Arte Religioso vorbei, und da ich für zusätzliche 1,50 Soles ein Kombiticket beim Besuch der Kathedrale erworben hatte, war der Besuch für mich kostenlos und ich entschied mich, noch mehr Kunst der Schule Cuscos anzusehen - und lernte dabei durch den Audioguide wieder einiges hinzu.





In einem Café in San Blas, das durch die Einnahmen soziale Projekte finanziert und hauptsächlich von Freiwilligen betrieben wird, bekam ich neben echtem Kaffee - bei dem vielen Nescafé nahezu eine Rarität - ein leckeres Sandwich und Apple Pie, jedoch nervte mich, dass man von vornherein auf Englisch angesprochen wurde und wie sich heraustellte, das Personal nicht mal Spanisch sprach. Ein weiterer reiner Backpacker-Ort, davon gibt es leider viele in Cusco.




Seit gestern sind Sarah und Timm, die ich in Arequipa kennen gelernt habe, in Cusco, und wir haben uns am Plaza Mayor getroffen, wo ich wieder mal feststellen musste, wie omnipräsent der Tourismus im Zentrum ist. Innerhalb von Sekunden wird man angequatscht und auch bei bekundetem Desinteresse weiter von vermeintlich tollen Angeboten überzeugt - ob von Restaurantmitarbeitern, Touranbietern, Schuhputzern, Fotografen, Straßenverkäufern oder Massageanbietern. Bei einem gemeinsamen Mittagessen im El Encuentro und einem Saft auf dem Markt von San Blas brachten wir uns auf den neuesten Stand und besprachen gemeinsame Ausflugziele. Abends lernte ich beim Couchsurfing-Stammtisch abermals sehr nette Menschen kennen, traf Enrique zufällig am Tisch nebenan, und nach ein paar Runden Jenga zogen wir noch weiter ins Chango.




Heute habe ich mich beim Mittagessen in dem urigen Lokal Q'ori Sara an einen Tisch mit zwei Peruanern gesetzt - hier ganz normal, man setzt sich immer an besetzte Tische dazu - und just kam eine nette Unterhaltung zustande, die auch weitergeführt wurde, als der eine Peruaner durch einen Schweizer und eine Deutsche ersetzt wurden. Diese Offenheit und Gesprächsbereitschaft schätze ich hier sehr, insbesondere da die üblichen Alltagsbegegnungen beim Einkaufen, im Bus oder Restaurant doch eher grimmig und kurz angebunden geführt werden - doch bei Fragen reagieren die meisten Menschen überaus hilfsbereit. Einmal hat mich eine Passantin aus Versehen in einen Bus geschickt, der gar nicht mein eigentliches Ziel ansteuerte, doch sowohl die zuvor genervte Busmitarbeiterin als auch andere Menschen waren dann wiederum bereit, mir den richtigen Bus zu zeigen. Mittlerweile habe ich auch rausgefunden, wo der Bus ins Frauenwohnheim in meiner Nähe abfährt. Heute wurden wir während der fünfzigminütigen Fahrt auf die gegenüberliegende Straßenseite geleitet, da gestern die Heiligen aus der Kathedrale in einer Prozession in ihre Heimatkirchen getragen wurden und heute offensichtlich für San Sebastian eine Parade stattfand - vor den Blechbläsergruppen tanzten Gruppen in aufwendigen Kostümen und Masken; Indianer mit riesigen Federhüten, Cowboys mit glitzernden Stiefeln, Frauen mit aufwendigen Zöpfen und mit Fratzen maskierte Männer.






Morgen kaufe ich mir das Boleto Turistico, das für den Besuch vieler Ruinen erworben werden muss, teuer und nur zehn Tage gültig ist, und werde mir dann einige Dörfer im Heiligen Tal ansehen - ich freue mich schon, zwischendurch aus der lauten, staubigen Stadt herauszukommen.

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