Am Montag lief ich den ganzen Vormittag durch die Stadt und sah mir fünf
Zimmer an - zwischen Nichtbeantworten der Klingel, versifften Buden,
netten Bekanntschaften und schönen Zimmern war alles dabei. Am Ende
entschied ich mich für ein Zimmer in einem dritten Stock, bei dem ich Küche
und Bad mit der Nichte der Vermieterin und möglicherweise einer dritten
Person teile, denn ein Zimmer steht frei. Die einfache, offene und ausreichend saubere Wohnung verfügt
sogar über eine kleine Sonnenterrasse, doch ausschlaggebend für meine
Entscheidung waren die Dachschrägen und das transparente Dach, die
ermöglichen, dass sich die Räume tagsüber aufheizen und abends nicht arg
so kalt werden. Am Mittwoch bin ich eingezogen. Das Haus ist nahe des Plaza San Pedro, sodass man sich mittags schnell
eine frittierte Yucca von einer der Straßenverkäufeinnen und einen Saft
vom Markt kaufen kann.
Meine ersten Tage im Casa Mantay waren super, ich war diese Woche in der
Kinderkrippe, also bei den Kindern unter drei Jahren, und es ist eine sehr schöne und lohnende Beschäftigung -
obwohl es auch ein bisschen anstrengend werden kann, wenn beispielsweise ein Baby
schreit, und vier weitere schreien aus Prinzip mit, oder wenn man dem
Wackelpudding auf dem Boden nach dem Essen nicht mehr ausweichen
kann und das Glibberzeug von Tischen, Stühlen, Böden, Kleidung, Schuhen
und Babys selbst entfernen muss.
Da die zehn Babys von einer fest angestellten Erzieherin betreut werden, unterstützen wir
Freiwilligen im gesamten Tagesablauf: spielen, essen und
windeln. Meine Ekelschwelle ist schon weit gesunken - vollgekackte
Stoffwindeln, die auf einen Haufen mit dreckiger Kleidung geschmissen
und gewaschen werden, selten gewechselte Schwämme statt Feuchttüchern,
halbaufgelöste Papierschnipsel, die man mühevoll aus Babymündern
entfernen muss oder abgeknabberte und vollgesabberte Hühnerfüße, die in
meine Hand gelegt werden - alles kein Problem. Die Kinder sind
großartig, lachen viel, sind offen und haben mich von Anfang an
wild umarmt und mit mir gespielt.
Da ich diese Woche für die Nachmittage eingeteilt wurde, konnte ich die
Vormittage nutzen, um Cusco weiter zu entdecken oder entspannt auf der
Sonneterrasse zu sitzen. Ich fühle mich wieder mehr Zuhause,
kann von anderen unbemerkt meinem eigenen Tagesrhythmus folgen und
wieder frühstücken, worauf ich Lust habe - das Hostelfrühstück aus
luftigen, harten Brötchen mit Butter und Marmelade hat mich schon
langsam angeödet.
Am Dienstagvormittag habe ich mir den Qurikancha angesehen, den ehemaligen
Haupttempel der Inka, der von den Spaniern geplündert und zerstört
wurde, um an seiner Stelle die Iglesia Santo Domingo zu errichten. Ein
paar Inkamauern wurden allerdings in den Bau integriert und so lässt
sich die bewundernswert exakte und fugenlose Bauweise der Inka dort noch
heute betrachten - wie auch an der Mauer des ehemaligen Palastes des Inca Roca mit dem zwölfeckigen Stein, die ich an meinem Tag gesehen habe.
Anders als die Mauern der Kirche hielten die
Inkamauern auch schweren Erdbeben in der Vergangenheit stand. In einem
Raum waren einige Gemälde der Cuscoschule ausgestellt. Ich
finde es immer wieder spannend, wie die indigene Bevölkerung zwar nach
europäischem Vorbild gemalt hat, bestimmte Darstellungen und Symbole
jedoch gezielt eingesetzt hat, um das Evangelium verständlicher zu
machen - so zum Beispiel das Jesuskind wie in den Anden üblich in
Tragetücher eingewickelt, Lamas statt Kamelen, Meerschweinchen auf den
Tellern und - wie ich hier zum ersten Mal sah - die Trinität
dargestellt als drei identisch aussehende Personen oder zwei Männer und
eine Taube, letztere den heiligen Geist symbolisierend. Da die Inka an
viele Götter glaubten, war das abstrakte Konzept eines Gottes in drei
Wesensformen schwer begreifbar.
Auf der Suche nach einem Mittagsessen lief ich zufällig am Museo de Arte Religioso vorbei, und da ich für zusätzliche 1,50 Soles ein Kombiticket
beim Besuch der Kathedrale erworben hatte, war der Besuch für mich
kostenlos und ich entschied mich, noch mehr Kunst der Schule Cuscos anzusehen - und lernte dabei durch den Audioguide wieder einiges hinzu.
In einem Café in San Blas,
das durch die Einnahmen soziale Projekte finanziert und hauptsächlich
von Freiwilligen betrieben wird, bekam ich neben echtem Kaffee - bei dem
vielen Nescafé nahezu eine Rarität - ein leckeres Sandwich und Apple
Pie, jedoch nervte mich, dass man von vornherein auf Englisch
angesprochen wurde und wie sich heraustellte, das Personal nicht mal
Spanisch sprach. Ein weiterer reiner Backpacker-Ort, davon gibt es
leider viele in Cusco.
Seit gestern sind Sarah und Timm,
die ich in Arequipa kennen gelernt habe, in Cusco, und wir haben
uns am Plaza Mayor getroffen, wo ich wieder mal feststellen musste, wie omnipräsent der Tourismus im Zentrum ist. Innerhalb von Sekunden wird man angequatscht und auch bei
bekundetem Desinteresse weiter von vermeintlich tollen Angeboten
überzeugt - ob von Restaurantmitarbeitern, Touranbietern, Schuhputzern, Fotografen,
Straßenverkäufern oder Massageanbietern. Bei einem gemeinsamen Mittagessen im El Encuentro und einem Saft auf dem
Markt von San Blas brachten wir uns auf den neuesten
Stand und besprachen gemeinsame Ausflugziele. Abends lernte ich beim Couchsurfing-Stammtisch abermals sehr nette Menschen kennen, traf Enrique zufällig am Tisch nebenan, und nach ein paar Runden Jenga zogen wir noch weiter ins Chango.
Heute habe ich mich beim Mittagessen in dem urigen Lokal Q'ori Sara an
einen Tisch mit zwei Peruanern gesetzt - hier ganz normal, man setzt sich
immer an besetzte Tische dazu - und just kam eine nette Unterhaltung
zustande, die auch weitergeführt wurde, als der eine Peruaner durch einen
Schweizer und eine Deutsche ersetzt wurden. Diese Offenheit und
Gesprächsbereitschaft schätze ich hier sehr, insbesondere da die
üblichen Alltagsbegegnungen beim Einkaufen, im Bus oder Restaurant doch
eher grimmig und kurz angebunden geführt werden - doch bei Fragen
reagieren die meisten Menschen überaus hilfsbereit. Einmal hat mich eine Passantin aus Versehen in einen Bus geschickt, der gar nicht mein eigentliches Ziel ansteuerte, doch sowohl die zuvor genervte Busmitarbeiterin als auch
andere Menschen waren dann wiederum bereit, mir den richtigen Bus zu zeigen. Mittlerweile habe ich auch rausgefunden, wo der Bus ins Frauenwohnheim in meiner Nähe abfährt. Heute wurden wir während der fünfzigminütigen Fahrt auf die gegenüberliegende Straßenseite geleitet, da gestern die Heiligen aus der Kathedrale in einer Prozession in ihre Heimatkirchen getragen wurden und heute offensichtlich für San Sebastian eine Parade stattfand - vor den Blechbläsergruppen tanzten Gruppen in aufwendigen Kostümen und Masken; Indianer mit riesigen Federhüten, Cowboys mit glitzernden Stiefeln, Frauen mit aufwendigen Zöpfen und mit Fratzen maskierte Männer.
Morgen kaufe ich mir das Boleto Turistico, das für den Besuch vieler Ruinen erworben werden muss, teuer und nur zehn Tage gültig ist, und werde mir dann einige Dörfer im Heiligen Tal ansehen - ich freue mich schon, zwischendurch aus der lauten, staubigen Stadt herauszukommen.
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