Mittwoch, 22. Juni 2016

Noch mehr Ruinen und großartige Menschen

Am letzten Gültigkeitstag meines Boletos Turisticos machte ich mich auf den Weg nach Sacsayhuamán, von Touristen mittlerweile sexy woman genannt, einer religiös und militärisch genutzten Inkastätte, die von Cusco in einer halben Stunde zu erreichen ist. Schon auf dem Weg dorthin hatte ich einen hervorragenden Blick auf Cusco, und sogar bis hier oben hörte man die Klänge der täglichen, andauernden Festlichkeiten auf dem Plaza de Armas - in dieser Woche führten viele Schulkinder in aufwendigen Kostümen traditionelle Tänze auf. Nach einem Abstecher zum Christo Blanco, der nachts hell erleuchtet über Cusco zu schweben scheint, lief ich durch die Anlage, die riesig erscheint, obwohl man von ihr heute nur noch etwa 20% sieht.




 

Nach harten Kämpfen, die in der Eroberung durch die Spanier endeten, wurde die Festung zerstört, doch die zickzackförmige Festungsmauer ist noch erkennbar, gebaut mit wirklich gigantischen Steinen, die bis zu 300 Tonnen wiegen - manche meinen, angelegt als Kopf der Pumaform Cuscos, mit den Zickzackmauern als Zähnen, andere sagen, als Nachbildung der Milchstraße. Generell gibt es hier das gleiche Problem wie bei vielen Inkastätten: über den ursprünglichen Sinn lässt sich oft nur spekulieren. In der Anlage wimmelte es von Touristen und ihren Guides, und regelmäßig wurde auch ich gefragt, ob ich nicht eine Tour machen wolle. Ein netter Herr zeigte mir den Weg nach Q'enko, als ich am gegenüberliegenden Ende der Anlage gerade das Gelände verlassen wollte, und wollte mir weder eine Tour aufschwatzen, noch verlangte er für seine Information ein Trinkgeld, sondern erklärte mir, dass er gerne helfe, denn in einem anderen Land würde auch er sich über Hilfe freuen - leider ist diese Einstellung hier eine echte Rarität, hat mich dafür aber umso mehr beglückt.





Über die Landstraße kam ich nach Q'enko, einem Felsen mit Nischen, Stufen, Ritzungen und einem unterirdischen Keller mit Altären, dessen obere Fläche wohl für Zeremonien genutzt wurde, die derzeit aber leider nicht zugänglich ist. Am Eingang erkannte ich an einer einzigen Frage den Akzent eines Deutschen, der jedoch Musik hörte und deswegen nicht auf mich reagierte. Schnell war ich durch den Stein hindurchgelaufen und ärgerte mich dabei wieder über die Touristenmassen, die nicht so sehr stören würden, wären sie nicht manchmal sehr arrogant und besserwisserisch - wie der Mann, der im Vorbeigehen zu mir sagte "wrong direction", nur weil ich nicht in seine Richtung lief. An einer weiteren aus einem Felsen bestehenden Ruine vorbei machte ich mich auf den Weg zurück nach Cusco, die auch der Deutsche einschlug, und so versuchten wir zusammen den Weg ausfindig zu machen - woran wir scheiterten und wieder mal querfeldein und über steile Abschnitte hinweg die Treppen nach San Blas hinunter erreichten. Im Zentrum angekommen verabschiedete ich mich von Thomas und fand ein kleines Lokal, das einen Mittagstisch aus Getränk, Suppe, Hauptgericht und Nachtisch für 10 Soles anbietet, das ich in dieser Woche gleich nochmal besuchte, da es hier im Unterschied zu vielen anderen Lokalen auch eine vegetarische Option gab.





Als ich abends von der Arbeit nach Hause lief und gerade bei einer Bäckerei vor dem Schaufenster stand, hörte ich auf einmal wie jemand rief: "Sarah, bist du es?" Ich drehte mich um und stand direkt vor Angelika und Johannes - was für ein Zufall. Die beiden luden mich spontan ein, mit ihnen mitzukommen, sie wollten gerade einen Pisco Sour trinken gehen. Am Ende saßen wir wieder stundenlang zusammen und unterhielten uns wunderbar, und die beiden luden mich sogar auf unsere Pizza und die Pisco Sours ein.

Am Dienstagvormittag bereitete ich in einem schönen Café bei mir um die Ecke den Workshop für den Folgetag vor. Ich sollte für die drei Mädchen, die bei der deutschen Ausbildenden Monika den Beruf der Floristin erlernen, die Thematik des Verkaufens aufarbeiten, da grundlegende Dinge wie Aufmerksamkeit für den Kunden und ein Lächeln nicht selbstverständlich zu sein schienen. Mithilfe eines Floristenlehrbuchs und meiner eigenen Promotionerfahrung stellte ich ein paar kleine Theorieüberblicke und viele Übungen zusammen, immer auf einen aktiven und spielerischen Charakter bedacht. Leider verlief auch dieser Workshop nicht ganz reibungslos - zu Beginn stellte sich heraus, dass ein Mädchen die Ausbildung abbrechen und nicht für Arte Floral arbeiten würde, somit arbeiteten Monika und ich mit den zwei übriggebliebenen Mädchen, die anfangs noch aufmerksam waren, sich jedoch komplett sperrten, praktische Übungen, von denen mein Workshop lebte, mitzumachen. Nach einer Weile, in der Monika und ich mit Spaß, Alternativvorschlägen, Verdeutlichung der Relevanz oder Versuchen, über das Problem zu sprechen, alles versucht hatten, um weiterarbeiten zu können, aber gescheitert waren, brachen wir für eine lange Kaffeepause ab und ließen die Mädchen danach entscheiden, ob sie einen Part gerne auf den Termin in zwei Wochen legen würden, was sie gerne annahmen.
Den Rest der Woche verbrachte ich wieder nachmittags mit den Schulkindern.



Am Dienstagabend liefen mir Johannes und Angelika schon wieder über den Weg - dies war nun der vierte Tag in Folge, an dem wir uns ungeplant trafen, was nahezu an ein Wunder grenzte. Zwar konnte ich die beiden an diesem Abend nicht begleiten, jedoch luden sie mich ein, mit ihnen an ihrem letzten Abend am Mittwoch essen zu gehen. In einem schönen Restaurant direkt an der Plaza de Armas mit Salatbuffet und leckeren Pizzas verbrachten wir einen schönen letzten gemeinsamen Abend, und spontan entschied Angelika, ihren Rückflug am nächsten Tag nicht anzutreten und noch ein paar Wochen in Cusco zu bleiben, um ihr Spanisch zu verbessern und zu reisen.
Nach unserem Essen traf ich Noel, der mir die Bar Limbus zeigte, zu der man zwar einige Stufen in San Blas hinaufgehen muss, dort aber mit einem Blick auf das nächtliche Cusco durch die Fensterfronten belohnt wird. Noch dazu sind die Sessel bequem, die Atmosphäre weniger laut und aufgekratzt als in der schlimmen Backpacker-Feier-Straße, und die Cocktails groß, gut und günstig. Ärgerlich war lediglich, dass der Kellner meinte, mir einen anderen Cocktail empfehlen zu müssen, der "Frauen besonders gut schmeckt", woraufhin ich noch vehementer auf meine Wahl bestand, und er tatsächlich noch einen Versuch startete, mich zu dem "femininen" Cocktail zu überreden, dieser würde mir sicherlich besser schmecken. Die Ironie der Situation lag letztendlich darin, dass unser "weniger feminine" Cocktail mit Blumen serviert wurde. Noel und ich verstanden uns prächtig, und zwanglos entwickelten sich ehrliche, tiefsinnige und nachdenkliche Gespräche, nicht zuletzt auch inspirierend für uns beide. Ich für meinen Teil hatte gemerkt, dass Begegnungen und Bekanntschaften das Reisen auch für mich zu einem großen Teil ausmachen, doch anders als für Noel geht es mir nicht mehr nur um die Quantität meiner Bekanntschaften, sondern um die Qualität derselben - und diese konnte ich mit dieser Erkenntnis nun wieder mehr wertschätzen und musste nicht länger der Idee hinterherjagen, ständig neue Leute kennen zu lernen.

Der Rest der Woche verlief eher ruhig, hauptsächlich wegen meiner Erkältung, die nun ausbrach, nachdem der Schnupfen mich schon seit zwei Wochen verfolgte. Bei den Witterungsbedingungen wundert mich das nicht - ich kann mich nach wie vor nicht daran gewöhnen, an einem Tag Sommer und Winter in Form von Temperaturunterschieden von 20 Grad zu erleben. Ich entdeckte noch ein weiteres typisches Lokal, in dem die Peruaner für einen Stuhl an einem Tisch und das Mittagsmenü Schlange stehen, wo ich das erste Mal aufgrund fehlender vegetarischer Optionen Aji de Gallina aß, ein leckeres peruanisches Gericht aus Hühnchen in einer gelben Ají-Sauce mit Kartoffeln, Parmesan, Walnüssen und Reis - und somit typisches Beispiel für die Fusions-Küche.



Am Freitagabend ging ich spontan mit Rosa, die ebenfalls mehr als doppelt so alt ist wie ich, was man ihr aber nicht im Entferntesten anmerkt oder ansieht, in ein peruanisches Kulturinstitut, wo ein kostenloses Konzert aufgeführt wurde. Zunächst spielte ein Komponist auf seiner Harfe zauberhafte Melodien, gefolgt von einer mediokren Popband. Mit Rosas Mitbewohnern, von denen einer auch in der Casa Mantay ehrenamtlich arbeitet, gingen wir in eine Bar, die wie der Name El Duende vermuten lässt, vollständig mit Kobolden dekoriert ist - an den Wänden hängen Koboldbilder, die Barhocker sind wie Koboldköpfe geformt und auch die KellnerInnen tragen lange Mützen mit Elfenohren. Was mir am besten gefallen hat: die Peruaner lieben diese Bar, in der noch dazu gute, alte Musik läuft, und die Stimmung gut ist, doch außer uns waren keine Gringos zu sehen - und das obwohl wir uns in der besagten Backpacker-Feier-Straße befanden. So wie alle tranken wir Té Macho, schwarzen Tee mit Gewürzen, wie Zimt und Nelken, und Pisco, heiß und mit Limetten serviert, die die Süße ausgleichen, der in kalten Nächten wie jenen ausgezeichnet wärm, und so ging ein angenehmer Abend zu Ende.

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