Am Samstag um halb 4 morgens sollte die Fahrt in den Colca Cañon beginnen, kurz vor 4 Uhr stieg ich dann tatsächlich in den bereits mit müde dreinblickenden Reisenden gefüllten Combi. Nach einer kurzen
Begrüßung versuchten alle Insassen die Augen zuzumachen, doch
die vielen durch die Straßenqualität bedingten Beschleunigungen und
Bremsungen, das scheppernde Metall und das Wackeln und Vibrieren des
Fahrzeugs machten dies fast unmöglich. Als ich drei Stunden später die
Augen endgültig aufmachte, schlängelten wir uns bereits Serpentine für
Serpentine den Cañon hinunter, bis in die
Hauptstadt des Colca Valleys: Chivay - ein trostloses Fleckchen inmitten
von Nichts, in dem 80% der etwa 5000 Einwohner vom Tourismus leben. In einem
winzigen Restaurant gab es für uns ein einfaches Frühstück, dann ging es
nochmal anderthalb Stunden weiter zum Cruz del Condor. Sobald man die
vielen Busse und fotoschießenden Touristen einmal ausgeblendet hatte,
war es ein sehr schöner Ort: direkt unter einem Felsen saßen einige
Kondore, und immer wieder erhoben sie sich und ließen sich von der für sie
vorteilhaften morgendlichen Thermik durch die tiefen
Schluchten des Cañons treiben, teilweise direkt über unsere Köpfe hinweg, was
aufgrund ihrer enormen Flügelspannweite von mehr als drei Metern zu vielen "Ah"s und "Oh"s führte.
Nach 40 Minuten stiegen wir nochmal kurz in den Bus und wurden
dann nacheinander abgesetzt und unseren Guides zugeteilt. Neben Roger,
meinem Guide für die nächsten Tage, waren vier Freunde in ihren Siebzigern aus
Neuseeland, zwei Frauen aus
Frankreich und zwei aus Deutschland dabei. Nach einer kurzen Erläuterung
über den Cañon sowie das Verhalten im Erdbebenfall begannen wir unsere
Wanderung. An dieser Stelle war der Cañon bis
zum Fluss einen Kilometer tief, und diese Strecke liefen wir auf
schmalen, steilen und staubigen Wegen
stetig im Zick-Zack bergab. Der Weg war voller kleinem Geröll, das einen
schnell ausrutschen ließ und somit das Laufen
deutlich entschleunigte, und die Sonne brannte
unentwegt auf uns herab. Bald hatten Alicia und Jessica aus Nürnberg und ich einen
Vorsprung zu den anderen, und konnten kleine
Pausen zum häufig notwendigen Aufbessern der Sonnencremeschichten einlegen.
Unten
angekommen überquerten wir über eine Brücke den Fluss, stiegen nach
Eintreffen unserer Gruppe einen kurzen steilen Weg hinauf und befanden
uns auf einmal inmitten saftigen Grüns, das im krassen Kontrast zum trockenen Staub des
bisherigen Wegs stand. Der steinige Weg führte mit Blick auf die massiven
Felsen und den tosenden Fluss an Wiesen vorbei durch Baum- und
Kakteenlandschaften, ergänzt durch Maisfelder und bunte Blumen und
endete in unserer sogenannten Lodge in San Juan. Neben ein paar
einfachen Lehmhütten gab es eine gemeinschaftliche Hütte, einen kleinen
Laden, in dem man Wasser für 4€ kaufen konnte, und ein kleines
Waschhäuschen mit zwei Duschen, zwei Toiletten und einem außen
angebrachten Waschbecken. Nachdem wir zu Mittag gegessen hatten - nach
der Quinoa-Suppe bestand die vegetarische Option für mich aus Reis,
Pommes und einer halben Avocado - genossen wir eine durch Sonnenstrahlen
ermöglichte warme Dusche, schüttelten den Staub aus unseren Sachen und
genossen im Gras sitzend die letzten Sonnenstrahlen. Doch sobald die
Sonne gegen 17 Uhr hinter den Felsen verschwunden war, wurde es merklich
kühl und wir entschieden uns, uns kurz hinzulegen - und wachten
allesamt erst zum Abendessen um 19 Uhr wieder auf. Nach einer Nudelsuppe
gab es ein leckeres Stück überbackener Süßkartoffel mit Reis und
anschließend eine Tasse Tee. Mit den quirligen und offenen "Kiwis", wie
sie sich selbst nannten, verstanden sich Alicia, Jessica und ich auf Anhieb,
doch mit den beiden Französinnen war der Anfang holpriger, da deren
Fremdsprachenkenntnisse äußerst gering waren - trotz Berufstätigkeit in
vermeintlich internationalen Unternehmen. Als wir in unsere Hütten
zurückkehrten, schaute ich in den Himmel, und war sprachlos - noch nie
hatte ich einen so vollen und hellen Sternenhimmel gesehen.
Beim Zähneputzen konnte ich den Blick nicht von den Sternen abwenden und
wurde mit einer Sternschnuppe belohnt. In unserer Hütte entzündeten wir
die Kerze, die unsere einzige Lichtquelle war, schlüpften in unsere
Schaumstoffbetten, ich packte mich noch in einige Schichten, um die Kälte zu vertreiben, und schliefen früh ein - bei der durchdringenden
Dunkelheit fühlen sich die Stunden nachts immer schon später an.
Am nächsten Morgen starteten wir nach einem fabelhaften Pfannkuchenfrühstück gegen 8 Uhr unsere Weiterreise und liefen die folgenden zweieinhalb Stunden Wege hinauf und hinunter, entdeckten dabei Cherimoyabäume und Aloe Vera-Pflanzen, kleine nahe und große ferne Wasserfälle, kleine weiße Pünktchen auf Kakteen, die eigentlich Insekten sind und die beim Zerdrücken roten Farbstoff zum Färben von Kleidung und Kosmetik hergeben, sprangen immer wieder über einen unseren Weg kreuzenden Bach und erblickten schließlich unten im Tal eine unnatürlich grüne Anlage mit vielen Bungalows und sich deutlich abhebenden türkisfarbenen Swimmingspools. Diesmal kaute ich auf Empfehlung der anderen auf ein paar Kokablättern herum, und tatsächlich fühlte ich mich besser als am Vortag - vielleicht war der Weg aber auch schlicht einfacher. Ich werde mir nochmal frischere Blätter besorgen, denn auch bei höhenbedingten Problemen, Kopfschmerzen oder Kurzatmigkeit sollen sie Linderung verschaffen. Auf dem letzten Stück wanderte ich wieder für mich allein, da Jessica und Alicia vorauseilten und der Rest der Gruppe gemächlicher lief, wodurch ich die Ruhe und Schönheit meiner Umgebung noch mehr genießen konnte. Am gegenüberliegenden Hang ließ sich bereits der Weg für den Folgetag erkennen, der sich in Zick-Zack-Linien den Berg hinauf erstreckte.
Unten angekommen überquerten wir erneut den Fluss und wenige Minuten
später erreichten wir mit ungläubigen, lachenden Gesichtern die sogenannte Oase. Wunderschön angelegt befand sich inmitten von Palmen, einem
künstlichen Wasserfall und perfekt an einen Felsen angefügt ein großer
Swimmingpool. Schnell bezogen wir unsere Lehmhütten und sprangen dann
allesamt ins kühle Nass und sonnten uns bis zum Mittagessen - Suppe und
Reis mit Kürbissauce - auf dem Felsen, dösten im Rasen oder baumelten in
den zwischen Palmen angebrachten Hängematten. Als die Sonne schon fast
hinter den Felsen verschwunden war, kamen die Wanderer in der Anlage an,
die sich für die Zweitagestour entschieden hatten, an diesem Morgen
die gesamte Tour begonnen hatten und nach dem Mittagessen in San Juan noch
hierher gekommen waren - und wir waren froh, durch die Dreitagestour so
viel Zeit zum Entspannen gehabt zu haben. Die Zeit bis zum Abendessen -
diesmal Suppe und Nudeln mit Tomatensauce - verbrachte ich wieder mit
Jessica und Alicia, und nach dem Abendessen setzte sich unser
mittlerweile betrunkener und enorm anstrengender Tourguide zu uns und
wiederholte die Anweisungen für den nächsten Tag zwanzigmal, nicht ohne
durchblicken zu lassen, wie genervt er von uns war. Da die Anlage
diesmal größer und entsprechend an mehr Ecken dunkel war, ärgerte ich mich noch mehr als am Vortag, meine
Stirnlampe in Arequipa vergessen zu haben. Vor 21
Uhr lagen wir bereits in unseren Betten. Wieder bestanden die Unterkünfte nur aus Lehmhütten ohne Elektrizität, in denen sich außer den Betten nichts befand - außer ein paar kleine Mitbewohner, die wir auf verschiedentliche Art kennen lernten. Die Asseln, Spinnen und Wanzen sahen wir noch vorm Einschlafen, die Bettwanzen oder Flöhe identifizierte ich am nächsten Morgen durch die zehn in einer Reihe angeordneten Bisse am Handgelenk.
Am Montag stand ich um halb fünf auf, traf auf meinen schlechtgelaunten Tourguide und wurde von ihm gebeten, mich den anderen Gruppen auf dem Weg die Schlucht hinauf anzuschließen, da er noch auf die vier Neuseeländer warten würde - der Rest unserer Gruppe hatte sich entschieden, auf Eseln den Weg hinaufzureiten. Mit meiner Taschenlampe beleuchtete ich den Weg vor mir und folgte den tanzenden Lichtern derer, die sich vor mir auf den Weg gemacht hatten. Von Anfang an ging es steil bergauf, und außer den wenigen Metern vor mir ließ sich in der Dunkelheit nichts erkennen. Nach etwa einer halben Stunde begann die Dämmerung, und schon bald konnte man ohne Lampe den Weg im Halbdunkel erkennen. Schritt für Schritt stapfte ich weiter, etwas besorgt, den Weg nicht in der vorgegebenen Zeit von drei Stunden zu schaffen - unser Guide hatte uns am Vorabend eingetrichtert, wie wichtig das Einhalten der Zeitspanne war, und hatte die Neuseeländer, aufgrund der Knieprobleme der einen von ihnen, gedrängt, auf einem Esel zu reiten, was diese jedoch nicht angenommen hatten. Doch meine Sorge wurde kleiner, als ich bald die erste Gruppe passierte und bald darauf die zweite. Trotzdem ärgerte ich mich, dass in den letzten drei Praktikumsmonaten in Deutschland mein Fitnesslevel so stark eingebüßt hatte. Am Horizont bot sich derweil eine atemberaubende Sicht auf die von der aufgehenden Sonne beleuchteten Berggipfel.
In der zweiten Gruppe, die ich traf, fragte ich nach, ob jemand wüsste, wie weit wir wohl noch vom Ziel entfernt waren - die Hälfte hätten wir bereits errreicht, und von nun an wäre der Weg auch deutlich einfacher zu bewältigen, da er weniger steil sein würde. Pustekuchen! Weiterhin war der Weg steil und bestand größtenteils aus großen Steinen, über die ich manchmal beinahe klettern musste.
Kurz nachdem mich Alicia und Jessica auf ihren Eseln überholt hatten, hatte ich das Ende des Weges auch erreicht und konnte den Ausblick genießen. Kurz nach 8 Uhr erreichten uns auch unsere Kiwis mitsamt dem Guide, und nach einem stolzen Gruppenfoto stapften wir gemeinsam über weite Felder nach Cabanaconde, wo wir frühstückten und uns danach in Combis aufteilten, um den letzten Teil der Tour zu starten.
Nach etwa 30 Minuten erreichten wir unseren ersten Stopp, von dem aus wir einen atemberaubenden Panoramablick auf das Colca-Tal, viele Dörfer und unzählige Prä-Inka-Terrassen hatten, und auch den Berg erspähten, der die Quelle des Amazonas bildet.
Unser zweiter Stopp führte uns zu natürlichen heißen Quellen, in denen wir unsere Muskeln entspannen konnten. Von badewannenwasserwarm bis qualmendheiß waren in den Becken alle Temperaturabstufungen vertreten, und in Verbindung mit dem kalten Flusswasser bedeutete dies eine Stunde natürliche Wellnesserfahrung.
In Chivay besuchten wir ein Restaurant, in dem die einzelnen Gerichte sicherlich nicht unabsichtlich so teuer waren wie das Buffet, und so schlugen wir uns für 30 Soles die Bäuche voll und probierten uns durch die gebotenen peruanischen Köstlichkeiten - Ceviche, überbackene Süßkartoffeln und Zucchini, grüner Gemüsereis, Guacamole, Fisch und allerlei Eintöpfe. Vor unserer Weiterreise mussten wir von unseren liebgewonnen Neuseeländern Abschied nehmen, und fuhren dann in zahllosen Serpentinen hinauf nach Patapampa, der höchsten Stelle des Valle de Colcas in etwa 4900 Metern Höhe, von wo wir fröstelnd eine fantastische Sicht auf die umliegenden schneebedeckten und teils aktiven qualmenden Vulkanberge genossen, darunter der Ampato und die Rückseite des Misti und Chachani.
Auf dem Rückweg hielten wir ein letztes Mal, um die unzähligen Lamas und Alpakas weiden zu sehen - darunter auch süße Baby-Alpakas - und machten uns dann endgültig auf den Weg nach Arequipa, während dem wir auch ein paar Vicunas weiden sahen, die anders als Lamas und Alpakas nicht domestizierbar sind.
Den Rest der Woche verbrachte ich mit täglich fünf Stunden Spanischunterricht, um die verpassten Montagsstunden auszugleichen und mit - wer hätte es erwartet - leckerem Essen: ob nun ein Menü in einem vegetarischen Restaurant, ein Crêpe aus einem kleinen, liebevoll und einfach gestalteten französischen Café, den typischen kleinen Alfajores, einer Pizza in einer Pizzeria in Cayma zusammen mit zwei älteren Frauen aus Holland und der Schweiz, die auch an meiner Sprachschule Spanisch lernen oder ein Mittagsmenü in einer tollen Pícanteria in einem wunderschön mestizistisch gestalteten Innenhof nahe des Plaza de Armas.
Heute habe ich spontan einen kleinen Kulturnachmittag eingelegt. Im Vorübergehen entschloss ich mich, mir die Iglesia de la Compañía mit der großartigen Fassade von innen anzusehen - prunkvoll und voller Blattgold verzierte Altäre, außerdem ein Gemälde des letzten Abendmahls, auf dem Mais auf dem Tisch liegt. Bei der Free Walking Tour hatte unser Guide uns empfohlen, uns auch die San-Ignacio-Kapelle anzusehen. Erst wollte ich schon fast nicht die 4 Soles Eintritt bezahlen, doch nachdem ich die Kapelle betreten hatte, war ich völlig bezaubert von der Schönheit dieser Kapelle, in der das Fotografieren nicht erlaubt war. Vom Boden bis zur Kuppel erstreckten sich die flächendeckenden, tropisch anmutenden, bunten Fresken und stellten Pflanzen, Früchte und Blütenranken, Ornamente und Vögel, die Engel symbolisieren, dar, neben den Geistlichen waren ein Affe, ein Kondor und ein Esel gemalt.
Nach dieser wunderbaren Entdeckung spazierte ich in das Museo Santuarios Andinos, in dem die 1995 gefundene Mumie Juanita ausgestellt wird. Im ersten Raum wurde den Besuchern zunächst ein Film gezeigt, der die Entdeckungsgeschichte spannungsvoll erzählt, danach führte mich ein Guide privat durch die Ausstellung, da sich sonst niemand für die deutsche Führung gemeldet hatte. Neben vielen erstaunlich gut erhaltenen Kleidungsstücken, Tüchern, Statuen und Gebrauchsgegenständen der Inka befand sich im letzten Raum, in einer Art Kühltruhe aufbewahrt, die mit etwa 12 Jahren den Berggöttern geopferte Juanita, die durch ihr eisiges Begräbnis noch nach 500 Jahren menschliche Züge hat, Haare besitzt und einen Arm aus Fleisch und Blut. Bis heute wurden übrigens 18 Kinderopfer aus Zeit der Inka auf Andenbergen gefunden.
Zu guter Letzt habe ich nicht nur über die Inka-Kultur mehr gelernt, sondern in Gesprächen mit meinen Spanischlehrern und meiner Gastfamilie auch viel über die aktuelle politische Situation in Peru erfahren - mit Hauptproblemen im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung, der Bildung, öffentlicher Sicherheit, Korruption und sozialer Ungleichheit - sowie auch über die grobe Situation in anderen Staaten Lateinamerikas sowie Einzelheiten über den Wahlprozess und das Schulsystem, was natürlich wahnsinnig spannend war. Interessant finde ich beispielsweise, dass in Peru die Wahlpflicht besteht - kann man bei der Wahl erhaltene Sticker auf seinem Ausweis nicht
vorweisen, kann man das Land nicht verlassen, keinen Arbeitsvertrag
unterschreiben und erhält auch keinen Kredit bei einer Bank. Am 5. Juni, also in einem Monat, wird in Peru eine Stichwahl zwischen dem eher neo-liberalen Pedro Pablo Kuczynski und der rechts-konservativen Keiko Fujimori stattfinden, deren Vater der Ex-Präsident Alberto Fujimori ist, der wegen Korruption und mehreren Menschenrechtsverletzungen derzeit im Gefängnis sitzt, und die beispiels- und schockierenderweise für die Einführung der Todesstrafe eintritt und in der Wahl vorne lag.
Morgen fahre ich nach Puno und verbringe das Wochenende am Titicacasee, dem höchstgelegenen kommerziell schiffbaren Gewässer der Welt auf einer Höhe von 3812 Meter und zugleich zweitgrößten See Südamerikas - ich freue mich schon!
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