Montag, 9. Mai 2016

Inselhopping auf dem Titicacasee

Am Freitag nach der Schule nahm ich ein Taxi zum Busbahnhof Arequipas und stand 20 Minuten später in dem langgezogenen Busbahnhof, an dem sich unzählige Busunternehmen aneinanderreihen und laut ihre Destinationen schreien. Bei dem mir von Fabricio empfohlenen Busunternehmen San Christobal kaufte ich mir für 20 Soles plus 2 Soles Abfahrtssteuer ein Ticket nach Puno und wartete lesend und ein von der Fastfood-Kette Mammut gekauftes Avocado-Sandwich essend auf meine Abfahrt eine Stunde später. Erstaunlich pünktlich ging es um 15.45 Uhr mit nur 15 Minuten Verspätung los und durch die sich lange erstreckenden Ränder der Stadt, von kleinen, niedrigen, unfertigen Häusern gekennzeichnet, bis zum Pass Patapampa den mir vom vorherigen Wochenende bekannten Weg entlang, bis wir an einer Abzweigung nicht dem Weg nach Chivay sondern nach Puno folgten. Das wellenförmige Tal lag unter uns, am Horizont bestrahlte die untergehende Sonne den Himmel und die Berge, und mit der ansteigenden Höhe purzelten im Bus die Grade deutlich hinunter. Erst plapperte ein Mann in schnellem Spanisch und verteilte Bonbons, für die er nach einigen Minuten 1 Soles einsammelte, danach versuchte ein weiterer Mann eine geschlagene Stunde lang seine medizinischen Wunderprodukte an die Businsassen zu verkaufen. Anders als in den teureren Bussen wurden während der Fahrt immer wieder Passagiere vom Straßenrand aufgesammelt und mitgenommen, sowie Getränke- und Eisverkäufer, die nach einer Weile wieder ausstiegen. Schließlich wurde auf einem winzigen vergilbten Fernseher ein Actionfilm abgespielt. Nach Einbruch der Dunkelheit war das Lesen nicht mehr möglich, da die Lampen nicht funktionierten, und als ich einnickte, weckte mich meine Sitznachbarin liebenswerterweise, damit ich meine Lehne zurückstellte und mir nicht den Nacken verzog. Es war gut, dass ich mich gut mit ihr verstand, denn sobald sie eingeschlafen war, fiel sie immer wieder halb auf mich. Der Bus roch intensiv nach Essen und Kinder spielten auf voller Lautstärke mit ihren elektronischen Geräten. Der letzte Halt vor Puno war in Juliaca, eine große, düstere, kaputte Stadt mit Müll auf den Straßen, in dem herumstreunende Hunde wühlen, und dem ein oder anderen ausgebrannten Auto neben der Straße. Nach fast sieben Stunden war ich froh, als wir nach den vielen Stunden im Dunklen in dem Lichtmeer Puno ankamen und ich den Bus verlassen konnte. Ich verhandelte nicht lange mit dem Taxifahrer und wollte nur ins Bett kriechen. Vor einer Tür mit einem einfachen Papierschild ließ mich der Taxifahrer aussteigen, ich klingelte und wartete. Ein paar Momente geschah nichts, also klingelte ich nochmal. Wieder rührte sich nichts. Nach ein paar weiteren Klingel- und Klopfversuchen suchte ich in meiner Buchungsbestätigung die Nummer des Hostels heraus und rief dort an, doch es hob niemand ab. Irritiert blieb mein Blick an den Buchungsdaten hängen und langsam drang es zu mir durch: ich hatte das Bett für eine Woche später reserviert. Innerlich fluchte ich und ärgerte mich, dass ich wohl einmal zu wenig die Daten kontrolliert hatte, versuchte noch ein paar Mal erfogslos, in das Hostel zu kommen, und entschied dann, zum nächsten Hostel zu stapfen. Im Internet fand ich raus, das eines nicht weit von mir entfernt war, also machte ich mich durch die mir unbekannte Gegend auf den Weg und hatte Glück, problemlos konnte ich ein Dreibettzimmer für 27 Soles beziehen, in dem ich sogar alleine bleiben sollte. Die Reservierung des anderen Zimmers konnte ich aufheben, und trotz der Anzahlung von 5 Soles hatte mich der Zwischenfall so nichts gekostet und ich war erstaunt, wie einfach das Problem aus der Welt geschafft war.



 


Ab 4 Uhr morgens war der Lärm der Hauptstraße aus hupenden Autos und schreienden Marktverkäufern deutlich bis ins Zimmer vernehmbar, drei Stunden später nahm ich eine kalte Dusche, versuchte die Reste auf einem der Tische als Frühstück zu begreifen und rief nach dem Auschecken die Nummer der Agentur an, von der aus mich am Vortag jemand angerufen und gefragt hatte, wo mein Hostel sein würde, um mich für die Tour abzuholen. Ich fragte den Mann am Telefon, ob er meine SMS erhalten habe, dass ich nicht im vorgesehenen Hostel sein würde, sondern gewechselt hatte. Er bestätigte mir dies und versicherte, ich würde bald abgeholt werden. Ich wartete dreißig Minuten, als ich von der Frau am Vortag angerufen wurde, die mich fragte, wo ich sein würde, die gesamte Gruppe hätte eine halbe Stunde auf mich gewartet, aber ich sei nicht aufgetaucht, und nun seien sie zu spät dran und das sei meine Schuld. Überrascht erklärte ich ihr, dass ich in einem anderen Hostel sei und das auch weitergeleitet hätte, doch sie schimpfte nur weiter, forderte mich auf, sofort ein Taxi zum Hafen zu nehmen und legte auf. Mit einem Motortaxi machte ich mich auf den Weg und wurde auf dem Weg von diversen peruanischen Nummern angerufen, die auf Spanisch auf mich einredeten und bei denen ich nie zuordnen konnte, zu wem sie gehörten. Am Hafen traf ich den Tourguide Ruben, der sich nun seltsamerweise bei mir entschuldigte mit der Begründung, es sei soviel Verkehr gewesen, mich auf das volle Boot führte, in dem ich etwas peinlich berührt ganz hinten Platz nahm, und mir umgehend das Geld für das Motortaxi wiedergab. Nun wurde ich noch von meiner Reiseagentur in Arequipa angerufen, verstand aber durch die schlechte Verbindung kein Wort, versuchte mich trotzdem zu erklären und blieb am Ende ratlos, was gerade passiert war und was das Problem gewesen war, zurück.
Endlich ging es dann los, etwa 25 Minuten bis zu den Inseln der Uros. Die Inseln dieses Volks sind aus Schilf gebaut, weshalb der Boden weich und federnd ist. Traditionell gekleidete Frauen begrüßten uns auf einer der Inseln, und die Präsidentin der Insel sowie unser Tourguide erzählten uns auf Aymara, Spanisch und Englisch und unterstützt mit Modellen einiges zur Bauweise und Kultur der Inseln, wir durften ein Stück Schilf probieren und das Kunsthandwerk betrachten, anschließend blieb Zeit, um sich die Hütten der Bewohner und die Insel anzusehen - was in zehn Minuten erledigt war, denn die Insel wurde nur von fünf Familien bewohnt. Ein Teil unserer Gruppe machte mehr oder minder freiwillig eine kurze Rundfahrt auf einem der hübschen Schilfschiffe für 10 Soles, Danielle aus Kalifornien und ich genossen stattdessen die Aussicht und kauften uns auf einer anderen Insel Quinoa-Brot, auch peruanische Donuts genannt, und dann ging es etwa anderthalb Stunden durch den tiefblauen See, an Schilfpflanzen vorbei, zur nächsten Insel.










Nach zwei Stunden legten wir gleichzeitig mit gefühlt hundert anderen Touristen an der Insel Amantaní an, eine Insel mit etwa 4000 Einwohnern, und wurden unseren Gastfamilien zugeteilt. Ein älteres Paar aus Frankreich und ich sollten bei Adrian und seiner Familie lebten, also folgten wir ihm zu seinem Haus - und obwohl der Weg nicht besonders weit war, brachte uns der kleine Anstieg schwer aus der Puste und wir merkten deutlich, dass wir uns auf etwa 3800 Metern befanden. Gerade als wir im Haus angekommen waren, kam Ruben vorbei und bat uns die Familie zu wechseln, und als wir dort waren, war er auch nicht mit unserer Zimmerwahl einverstanden und bat die Franzosen und mich, unsere Zimmer zu tauschen. In dem kleinen Haus mit hübschen Räumen und Blick auf den Titicacasee lebten neben unserer Gastmutter Marisol  ihr 5-jähriger Sohn, ihre einjährige Tochter, die Oma und der Vater, der in Juliaca arbeitete. Elektrizität gab es jeden Abend für einige Stunden, fließendes Wasser allerdings trotz sanitärer Anlagen nicht, die Küche bestand lediglich aus einem kleinen Ofen in einer Nische. Als Gastgeschenke hatten wir Reis und Kekse mitgebracht, Marisol hatte für uns eine Art Kartoffelsuppe und frittierten Käse mit auf Amantani angebauten, kleinen Kartoffeln gekocht, danach gab es Coca oder Muña Tee, eine Art Minze. Die Kommunikation war etwas schwierig, da die Franzosen kaum ein Wort Spanisch oder Englisch sprachen und nur auf Französisch mit uns redeten , und so schlüpfte ich in die Rolle der Übersetzerin. Überrascht war ich, als Marisol mir erzählte, sie selbst sei so alt wie ich, 22.












Nach einer Stunde Ruhepause, in der sie uns ihre Handarbeiten zeigte, brachte Marisol uns zum Marktplatz, mit ihrem Baby in ein Tuch gewickelt auf dem Rücken und stets mit der Spindel in der Hand, wo wir den Rest der Gruppe wieder trafen. Fahrzeuge gab es auf Amantani nicht, und die Wege führten vorbei an kleinen Weiden und Feldern.






Ein Teil unserer Gruppe wanderte zu den beiden Tempeln auf der Insel, Ruben erzählte uns zwischendurch, dass die Insel in zehn Distrike unterteilt war, die Muttersprache Quechua und die in der Schule gelernte Sprache Spanisch war, und erklärte uns, welche Städte oder Inseln Perus und Boliviens wir am Horizont erkennen konnten. Die kurze, steile Wanderung war durch die Höhe erstaunlich anstrengend, doch die Aussicht vom Pachamama (Mutter Erde) auf 4150 Metern auf die Insel, den See und den gegenüberliegenden Tempel Pachatata (Vater Erde) war fantastisch, und obwohl sich die untergehende Sonne hinter Wolken versteckte, beleuchtete sie den Himmel doch in wunderbaren Farben. Vor allem die tiefe Ruhe und Stille auf der Insel erzeugte eine sehr friedliche Atmosphäre.







Mit Danielle und einer Dänin sowie zwei Kaliforniern und zwei Kanadiern verstand ich mich besonders gut. Im Dunkeln liefen wir zurück zum Plaza, wo unsere Gastfamilien uns in Empfang nahmen und, mit Taschen- oder Stirnlampen ausgestattet, zurück in die Häuser begleiteten. Beim Essen, Suppe und Reis mit einer leckeren Sauce und Tee, versuchte ich, etwas mehr über Marisol zu erfahren, und sie erzählte, dass sie gerne hier lebte, da ihr die Städte auf dem Festland zu laut, zu verschmutzt und zu kriminell seien. Außerdem erzählte sie, dass sie nur aller zwei Monate Gäste hätte, da es auf Amantaní ein rotierendes System zur Verteilung der Touristen gab. Eigentlich also eine sehr positive Form des Tourismus und Kulturaustausches - doch meine Zweifel, wie viel die Familien tatsächlich von uns profitierten und wie authentisch unsere Erfahrungen tatsächlich waren, konnten nicht vollkommen ausgeräumt werden. Gegen 20 Uhr brachte uns Marisol unser Outfit für das Fest am Abend. Mittlerweile war es sehr kalt geworden, und ich hatte bereits meine fünfte Schicht angezogen. Es kam mir etwas albern vor, darüber die traditionelle Kleidung anzuziehen, eine weiße bestickte Bluse, ein schwerer bunter Rock, ein farbenfroh bestickter breiter Gürtel sowie eine schwarze, ebenfalls bunt bestickte Stola, doch als wir zehn Minuten später in dem Haus ankamen, sah ich, dass alle Familien ihren Gästen die traditionelle Kleidung ausgeliehen hatte - außer unseren kanadischen Freunden, deren Familie davon wohl nichts gewusst hatte. Für die Männer bestand das Outfit aus einem Poncho und einer Mütze. Eine Band spielte südamerikanische Musik auf, die laut und schnell und schrill war, und sofort wurden uns von unseren Familien die in Gruppen getanzten Schritte dazu gezeigt und die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. Nach jedem Lied, das ewig dauerte, brauchten wir Nicht-Peruaner erstmal eine Pause, doch bald ging es wieder los und wir hüpften in Reihen und Kreisen auf und ab. Das französische Paar war bald müde und verabschiedete sich, doch wenige Minuten später fragte mich Marisol, wo die beiden seien, denn sie hätte zugesperrt - so eilten wir bereits gegen 21 Uhr nach Hause und trafen auf dem Weg Michel, der schon auf Weg zu uns war. Durch einige Schichten und einige Decken verbrachte ich trotz der Kälte eine ruhige Nacht.





Um 7 Uhr gab es am Sonntag Frühstück, bestehend aus zwei Pancakes und Marmelade aus der Plastiktube, und um 7.20 Uhr sollten wir am Hafen sein. Obwohl Ruben uns das viermal in Englisch und Spanisch erklärt hatte, hatten die Franzosen das wohl nicht verstanden, denn die wuselten trotz meines Drängens in aller Ruhe um uns herum und wir kamen natürlich viel zu spät am Hafen an - allerdings fand ich auf dem Rückweg meinen als verloren geglaubten Schal auf einer Wiese wieder. Auf dem Deck genossen wir die einstündige Fahrt nach Taquile, wo wir eine kurze Strecke zum Plaza bergauf liefen, was nun bereits deutlich einfacher wurde, der leer und alt wirkte.





Wir spazierten ein kleines Stück hinauf zu einem Panoramaausblick und trafen uns dann wieder auf dem Plaza, um auf einem wunderschönen Weg mit Blick auf den See zu einer Familie zu laufen, die für unsere gesamte Gruppe von etwa 24 Personen gekocht hatte. Zwischendurch hatten wir von einer Schafherde Fotos machen wollen, doch der Besitzer forderte 1 Soles pro Foto - ein immer häufigeres Phänomen. Im Hinterhof des Hauses der Familie erklärte uns Ruben die hier geltende Kleiderordnung - die Farben und Tragweise der Mützen bei Männern und die Rockfarbe und Pompongröße an der Stola bei Frauen gibt Auskunft über Beziehungsstatus der TrägerInnen - und der Sohn des Hauses zeigte uns, wie man aus einer Pflanze natürliches Shampoo herstellt. Dieser zur Schau stellende Charakter hatte mir schon auf den Inseln der Uros nicht gefallen, und ich hoffte lediglich, dass die Familien sich nicht blöd vorkamen, uns ihre Handarbeiten, Kultur und Kleidung vorzuführen. Nun stellte sich heraus, dass das Essen nicht für alle inklusive war, so musste auch ich nochmal 20 Soles zahlen - allerdings gab es dafür neben einer Rocoto-Mischung, Brot und Quinoa-Suppe eine frisch gefangene, gebratene Forelle und Tee.



 






Gegen Mittag bestiegen wir wieder unser Boot und schipperten, lesend oder dösend, die nächsten drei Stunden durch den wunderschönen See bis nach Puno, wo wir mit einem Bus zu unseren Hostels gebracht wurden und ich mich am Plaza de Armas absetzen ließ. Enttäuschend klein, leer und unspektakulär lag er da, deckte sich allerdings mit meinen bisherigen Eindrücken von Punos Straßen. Vor der Kathedrale traf ich witzigerweise Or aus Arequipa und gemeinsam mit seiner Begleitung sahen wir sie uns kurz von innen an, gingen in den hübschen Hinterhof eines der ältesten Wohnhäuser nebenan, das sonntags leider geschlossen hat, und hatten somit die Highlights Punos gesehen.





Ernüchtert gingen wir zurück in das Hostel der beiden, in dem auch die beiden Kanadier waren und ich auf Danielle warten wollte, doch nach einer halben Stunde brach ich auf - und traf Danielle, die gerade aus dem Taxi stieg, das ich nun zum Busbahnhof nahm. Die ersten drei Busunternehmen boten nur späte Abfahrten an, doch bei der vierten, wieder San Christobal, hatte ich Glück und der Bus sollte sofort abfahren - in diesem Fall kamen mir die 15 Minuten Verspätung zugute. Sechs Stunden und zwei anstrengend laut abgespielte Actionfilme später endete mein Titicaca-Ausflug. Obwohl der See und die Landschaften wunderschön, meine Mitmenschen liebenswert und die vielen Einblicke in die einzigartige Kultur der indigenen Bevölkerung auf dem See interessant waren und die Erfahrung somit einmalig, sehe ich die gesamte Tour wegen ihres kommerzialisierten, beizeiten oberflächlichen und beinahe unauthentischen Charakters nach wie vor kritisch und würde wahrscheinlich empfehlen, statt einer Tour die Inseln mit mehr Zeit und Vorausplanung selbstständig zu besuchen. Ich freue mich deswegen schon jetzt, im Juli oder August die bolivianische Seite des Sees zu erkunden.

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