Mein erster Praktikumstag war seltsam, die nächsten Tage nicht weniger verwirrend und
frustrierend. Ich musste oft an die Cultural Adjustment Curve denken, bei der auf die Honeymoon-Phase die Krise folgt: der
erste Kulturschock wurde bei mir sanft abgefedert - ob nun durch das
familiäre Umfeld, die vielen europäischen Kontakte oder weil Arequipa
sehr westlich geprägt ist - doch nun befinde ich mich mitten im zweiten,
tiefergehenden Schock. Ich bin müde, rege mich innerlich schnell über Land und Leute auf, bin deprimiert und schnell frustriert. Von außen betrachtet mag es sogar durchaus
interessant sein, wie deutlich sich nun meine westliche oder auch deutsche
Prägung meiner Arbeitseinstellung zeigt, und wie sehr mich deswegen
Unpünktlichkeit, Disziplinlosigkeit, Unstrukturiertheit und Ineffizienz, aber auch ein Laissez-Faire-Führungsstil und
Macho-Überzeugungen
aufregen.
Zunächst ein paar Worte zur Organisation selbst: Colectivo Integral de
Dessarollo, die mittlerweile eigentlich Perspektiva heißen, ist eine NGO
in ganz Peru mit vielen Zweigstellen, die junge Leute auf ihrem Weg zum
eigenen Unternehmen unterstützt und so zur Entwicklung Perus und
Lateinamerikas beitragen will. Dazu bietet CID mit dem Programm "Haz
Realidad Tu Negocio" (Setze dein Geschäft in die Tat um) fünftägige
Workshops für Menschen mit innovativen Ideen an, in denen mit einer
selbstentwickelten Methodik ein Businessplan entwickelt und so die
Unternehmensidee ausgereift wird. Für die Gruppe der bereits Berufstätigen
und Erfahrenen werden spezifische Fortbildungen zum Beispiel in Marketing oder
Finanzierung angeboten. Das Angebot ist kostenlos, lediglich das
Teilnahmezertifikat und das Manual zum Kurs kann für 10 Soles erworben
werden. Finanziert wird das vor allem durch die Banco Interamericano de
Dessarollo. Nach den Kursen wird eine weiterführende Beratung angeboten,
während der der Businessplan fertig gestellt wird, und einmal im Jahr
finden in verschiedenen Städten auch Wettbewerbe statt, in denen die
besten Businesspläne mit 500$ ausgezeichnet werden. Die Unternehmen
sind meist kleine Geschäfte oder landwirtschaftlich geprägte
Unternehmen und allgemein sind
die gegründeten Untenehmen erfolgreicher als andere. Bis dahin klingt das alles erstmal
super - deswegen habe ich mich ja auch für ein Praktikum bei CID
entschieden. Doch meine bisherigen Erfahrungen decken sich nicht so ganz
mit diesen Fakten...
Zum Büro der Organisation kann ich entweder 25 Minuten eine Hauptstraße
laufen oder für 70 Centissimo einen Combi entlang der parallelen Hauptstraße nehmen. Im
Keller eines Hauses befindet sich das Büro - fünf Schreibtische in drei
kleinen, durch Glastüren getrennten Räumen.
Um 9 Uhr kam ich am Montag im Büro an,
der peruweite Praktikumskoordinator hatte mir geschrieben, dass meine
Kontaktperson der Geschäftsführer der Zweigstelle sein
würde. Bisher saß einem der Schreibtische jedoch nur Edison, der mich
begrüßte - mit Küsschen auf die Wange, wie hier üblich - und mich bat,
auf einem der Sofas Platz zu nehmen. 15 Minuten später kam Eduardo an,
der sich mit mir unterhielt, bis gegen 10 Uhr dann eine dritte Kollegin, Nanci, ankam, während Edison mittlerweile
wieder verschwunden war. Eduardo rief nun mal bei Edilberto, dem
Geschäftsführer an, um zu fragen, wann er kommen würde, die neue Praktikantin sei mittlerweile da - gegen halb 11. Eduardo deutete an, dass dies normal sei - intern gäbe es derzeit
Probleme, da alle kämen und gingen, wann sie wollten, und von
Edilberto wüsse das Team die meiste Zeit nicht, wo er sei, da er nicht
mit ihnen redete. Unschlüssig sahen sich Eduardo und Nanci an, Eduardo müsse nämlich nun
auch wieder los, und meinten, es sei voll sinnvoller, wenn ich
nachmittags wieder käme. Also lief ich ab halb 11 etwas ziellos durch
ein riesiges Einkaufszentrum und wieder zurück zu meinem Hotel und
nutzte die Zeit, um im Greenpoint essen zu gehen - ein vegetarisches
Restaurant, das mir von ausnahmslos jedem, der in Cusco gewesen war,
empfohlen worden war. Tatsächlich war es von anderen Reisenden
überfüllt, und da das Mittagsmenü, das nur 15 Soles kostet, aus einem
Salat von der Salattheke, einer Gemüsesuppe, einem Hauptgang
(Quinoarisotto mit Spinatpanzotti) und Nachtisch (Kartoffeltrüffel)
besteht, verständlich.
Gegen 15.30 war ich wieder zurück im Büro,
mittlerweile war auch Mauricio da, der vierte Kollege, und Edilberto,
der mich flüchtig begrüßte und sonst kein weiteres Wort mir
gegenüber verlor. Erst gab mir Eduardo allen Ernstes seinen Laptop,
damit ich damit im Internet surfen konnte, doch zum Glück fand sich kurz
danach eine Aufgabe für mich: die sich seit geraumer Zeit ansammelnden
Teilnehmerfragebögen in eine Excelliste übertragen. Dadurch fiel auf
einmal auf, dass ich gar keinen Laptop hatte - ich darf nun Mauricios
verwenden, der seinen privaten nutzt, und da meist mindestens ein Teammitglied
nicht anwesend ist, gibt es auch kein Schreibtischproblem. Um 17 Uhr
war ich dann bei einem Workshop dabei, der eine Stunde überzogen wurde,
und war um 20 Uhr schließlich fertig - mit der Arbeit und den Nerven.
Selbst im Kurs gab es viele Zuspätkommer, am Ende saßen 18
Teilnehmer im Raum. Eduardo machte seine Sache an sich sehr gut, zu
meinem Leiden machte er immer und
immer wieder auf die vermeintlichen Unterschiede zwischen Frauen und
Männern aufmerksam, die man unbedingt beachten sollte, wenn man ein Unternehmen aufmacht und dafür wirbt. Überzeugt brachte er ein, dass
Frauen mehr reden und emotionaler sind, und natürlich durften auch
Beispiele für sexistische Werbung nicht fehlen - Babys, um die
Aufmerksamkeit von Frauen zu gewinnen und halbnackte Frauen, um die
Aufmerksamkeit von Männern zu gewinnen, natürlich nicht ohne visuelle
Beispiele auf dem Overheadprojektor. Er schien zu merken, dass ich am
Ende nicht ganz überzeugt war, und vorsichtig formulierte ich, dass ich
nicht ganz seiner Meinung gewesen sei, aber glücklicherweise wurden wir von
einer Kursteilnehmerin unterbrochen und vertieften das Thema nicht
weiter.
Am Dienstag war ich um kurz nach 9 Uhr im Büro und saß vor
verschlossenen Türen. Um kurz nach halb 10 kam Eduardo, in der folgenden
Stunde trudelten dann auch die anderen Kollegen ein - bis auf
Edilberto, der war den ganzen Tag nicht anwesend. Ich übertrug ein paar
weitere Fragebögen, dann fuhren Eduardo, Mauricio und ich in ein altes
Kolonialgebäude, das heute als Militärstation dient, und die beiden
versuchten, ihr Programm zu bewerben - oft ist der freiwillige
Militärdienst eine Option für Schulabgänger, die kein Geld für die
Universitäten haben oder keine Idee, in welche Richtung sie sich
ausbilden wollen, und CID will Perspektiven für die Zeit nach dem
Militär schaffen. Danach liefen wir zu einer Non-Proft Organisation, Cedna, mit der eine mögliche Kooperation besprochen wurde. Cedna bietet mehrmonatige Ausbildungskurse zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation der ärmeren Bevölkerung Cuscos.
Mittags liefen wir in Richtung Altstadt zurück und meine dreistündige Mittagspause begann. Normalerweise sind die Arbeitszeiten 9-13 und 15-19 Uhr,
doch per se kann man getrost noch ein wenig Zeit davon abziehen. Ich
fand ein kleines alternatives Restaurant, Prasada, in dem psychedelische
Festivals beworben werden und Reggae gespielt wird, und in dem es
superleckere Burger und Säfte, zum Beispiel Mango-Maracuja-Ingwer, aus riesigen Gläsern gibt.
Nachmittags begleitete ich diesmal Edison und
Mauricio zu ihrem Kurs, in der Hoffnung, dass dieser weniger Rollenklischees
als Beispiele heranzog. Edisons Rolle blieb mir unklar, da er eigentlich
die meiste Zeit draußen war, und Mauricio nutzte das Thema Marketing,
um den zehn anwesenden Kursteilnehmern völlig überzeugt Halbwahrheiten
und stereotype Annahmen aufzutischen: Männer lieben schnelle Autos,
Frauen lieben Schuhe, Frauen brauchen länger zum Einkaufen und machen
mehr Fotos von sich selbst, Frauen sind emotionaler und das lässt sich
auch durch die verschiedenen Gehirne von Männen und Frauen erklären, und da Frauen mehr Zuhause sind, können sie
besser Wohnungen auswählen. Alter Schwede, das war eine echte Härteprobe
an meine Selbstbeherrschung.
Am dritten Tag hatte ich alle krakeligen Fragebögen übertragen, die
voller Rechtschreibfehler und inhaltlicher Inkonsistenzen waren (Haben
Sie finanzielle Ressourcen? Nein. Wenn ja, worin bestehen diese?
Ersparnisse und Kredite.) und hatte die fehlerhaften Einträge meiner
Kollegen ausgebessert. Bis dahin verstand ich die Organiation immer noch nicht ganz - und das lag auch,
aber nicht nur an der Sprache. Ein Gespräch mit zwei Kollegen, das
wir führten, als wir zu einem nahegelegenen Park spazierten, unter dem
Vorwand, zu einer anderen Organisation zu fahren, ließ mich das Problem
der Organisation zwar besser verstehen, mich aber auch hoffnungsloser werden. Nicht nur ich war mit den Führungsqualitäten unseres Chefs
unglücklich, sondern auch die beiden. Sie hatten ebenso viel Einführung
in die Themen wie ich bekommen, nämlich keine, und seither gab es weder klare
Aufgabengebiete noch Zielvereinbarungen, regelmäßige Teamabstimmungen
oder Feedbackgespräche - alles Komponenten, die ich in meinen bisherigen
Praktika als selbstverständlich erlebt habe. Entsprechend machen sie
das, was sie für richtig halten - das Ergebnis sieht man in den
Workshopinhalten. Erleichtert hat mich, dass sie aber wenigstens selbst
wahrnehmen, dass sie prokrastinieren - Musik hören, reden, Videos
gucken, Facebook durchsehen oder spazieren gehen - und sich ihrer Unlust
und fehlenden Motivation bewusst sind. Leider werden Gespräche und
Vorschläge in Richtung oben abgeschmettert, ein
kleiner Teufelskreis, und das Resultat: beide werden wahrscheinlich auch
nicht mehr lange bleiben, da sie den gesamten Impact der Organisation
mittlerweile anzweifeln. Uff.
Während eines Mittagessens an einem vegetarischen Stand und einem der superleckeren Säfte im Markt San
Blas, der deutlich kleiner ist als der große San Pedro Markt, dachte ich
nach, wie ich nun vorgehen sollte.
Weil die beiden mir empfohlen hatten, mir selbst eine Aufgabe zu überlegen und eine Mitarbeiterbefragung vorgeschlagen hatten, beschäftige ich mich ein wenig
mit der Idee als eine Möglichkeit, eine
Veränderung zu erzielen, und fragte den Geschäftsführer per Mail - denn
er war natürlich nicht im Büro - was er davon hielte. Überraschenderweise rief er
mich umgehend an, und nachmittags setzten wir uns zusammen und er fragte, in
welchem der Bereiche, die ich kennen gelernt habe, ich mitarbeiten will -
Scherzkeks, ich kannte ja bisher nur die Kurse. Schließlich schlug er
vor, dass ich die Durchführung und Auswertung der Persönlichkeitstests
sowie die persönliche Beratung im Rahmen der weiterführenden
Beratung nach den Kursen übernehmen könnte. Das klingt erstmal nicht schlecht,
ab nächster Woche wird sich zeigen, wie das in der Praxis läuft.
Heute hat mich Edilberto mit zu einer Sensibilisierung in Sicuani genommen, eine
Art Werbeveranstaltung für das Programm und erste Annäherung an die
Möglichkeiten und Risiken bei der Geschäftsgründung. Insofern bin ich froh, das Gespräch mit ihm gesucht zu haben, vielleicht hat er auch auf ein wenig Eigeninitiative gewartet. Wir gingen davor sogar
gemeinsam in einem vegetarischen Restaurant um die Ecke Mittag essen -
für 7 Soles ein komplettes Menü aus Salat vom Buffett, Suppe, Hauptgang
und Sojamilch oder Tee , Edilberto ist allerdings nicht der gesprächigste
Zeitgenosse und tippt und telefoniert ständig auf seinem Smartphone
herum - selbst wenn er isst oder Präsentationen hält. Mit zwei Mitarbeitern des
Bildungsmimisteriums fuhren wir zweieinhalb Stunden nach Sicuani - dank rasanten
Fahrstils des Fahrers, einer der beiden anderen, über die schlechten Straßen und vielen Bremsschwellen eine sehr rumpelige Angelegenheit. In Sicuani fand
ich etwas, was einem Kaffee glich, und spazierte kurz über den Plaza,
und gegen 16 Uhr begann der Workshop.
Leider waren nur etwa 25 Leute
erschienen, obwohl das Arbeitsministerium das Event mitgetragen hatte,
aber die Teilnehmenden schienen von Edilbertos Einführung in das
Programm von CID angetan. Und ich verstand nun auch besser die Idee
hinter der NGO (endlich, nach vier langen Tagen): in Peru ist die Quote
der Unternehmensgründer, wie für weniger entwickelte Länder typisch, extrem hoch, der informelle
Sektor ist darüber hinaus riesig. Die meisten Unternehmen sind sogenannte Mypes,
also Mikrounternehmen. Allerdings gehen innerhalb der ersten Jahre die
meisten Geschäfte wieder pleite. Und dort setzt CID an und versucht mit
seinen Kursen, den typischen Fehlern bei der Geschäftsgründung vorzubeugen und die fehlende staatliche Unterstützung auszugleichen.
Ansonsten muss ich gestehen, dass ich bisher noch nicht dahinter gekommen
bin, warum so viele Menschen Cusco viel besser als Arequipa finden und ins Schwärmen über diese Stadt geraten. Der Staub und die Abgase sind
hier ebenso bei jedem Atemzug spürbar, der Verkehr ist massiv und laut
(neben dem Hupen ist das Piepen der Autos beim Rückwärtseinparken
wirklich unnormal laut), die Autos nehmen auch an grünen Ampeln und
Zebrastreifen keine Rücksicht und fahren einem bis knapp vor die Füße,
im Müll auf den abseits der Touristenpfade gelegenen Straßen wühlen
viele streunende Hunde. Alles nicht anders als in anderen peruanischen
Städten, die ich bisher kennen gelernt habe.
Noch dazu ist das Wetter schlechter - tagsüber ist die Sonne noch
aggressiver und verbrennt mir schnell die nicht eingecremten
Hautstellen, aber sobald sie untergegangen ist, fallen die Temperaturen
im Verlauf der Nacht um bis zu 20 Grad nach unten. Ohne Heizung, die es ja nirgendwo gibt, wird das schnell unangenehm kalt.
Und auch in Gebäuden, die die Sonne nicht aufzuheizen vermag, wie unser Büro im Keller, tragen die Leute immer ihre Jacken und bringen
beispielsweise für die Kurse ihre eigenen Decken mit.
Und natürlich ist es hier nicht so einfach wie in der Sprachschule,
Leute kennen zu lernen. Mein einziger Freund ist zur Zeit Julio der Hostelbesitzer, mit dem ich morgens und abends ein paar Sätze
austausche. Das Hostel ist im Übrigen in Ordnung, bis auf das schrille
Klingeln der Tür, das wegen der ankommenden Nachtbusse oder
heimkehrenden Nachteulen jeden Morgen ab 6 Uhr beginnt.
Aber um nicht so negativ zu schließen: ich bin optimistisch, dass das alles nicht so bleiben wird. Wenn sich die Schatten der Wolken auf den Bergen
bilden, ein Schamane auf einem Markt einer Menschengruppe ein Ritual zeigt, die Lichter der Stadt sich nachts die Berge hinaufziehen oder ich am trubeligen Plaza de Armas vorbeilaufe, weiß
ich auch wieder, dass Cusco sehr schön sein kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen