Ähnlich wie am Wochenende ging es dann auch in der darauffolgenden Woche
weiter – das Wetter blieb beständig schlecht und ich musste zwei Assignments
abgeben und mein erstes Final Exam schreiben. Dafür lernte ich am Abend vorher
noch mit Roshny, einer Freundin, die ich in dem entsprechenden Kurs kennen
gelernt hatte, im Student Learning Center. Dies ist ein riesiger Raum in einem
Campusgebäude, der 24 Stunden am Tag und 6 Tage die Woche offen hat. Und
Gerüchten zufolge befinden sich auch wirklich immer Studierende dort.
Wir
gingen unsere Notizen einmal durch und gingen relativ entspannt in die Prüfung,
da es sich bei dieser nur um einen Multiple Choice-Test handelte. Da in den Kurs etwa 700 Studierende eingeschrieben waren, war die Prüfung die reinste
Massenabfertigung – im Vorhinein musste man sich einen Papierbogen kaufen, der
maschinenlesbar ist und auf dem man bis zu 100 Multiple Choice-Fragen
beantworten kann; wichtig war, dass man zum Ankreuzen nur einen Bleistift mit
einer bestimmten Härte verwendete. Zu Beginn der Prüfung bekam jeder einen
eigenen Papierbogen mit individuell zusammengewürfelten Fragen, die es dann auf
dem sogenannten Scantron zu beantworten galt. War man fertig, brachte man dann
beides nach vorne, und dort erwartete mich ein witziges Bild; aufgrund der
vielen Prüflinge waren Stapel von A bis Z gebildet worden, die sich über das
gesamte Podest erstreckten, und man musste seinen Scantron auf den
entsprechenden Stapel legen. Unerwarteterweise war die Prüfung am Ende kniffliger als
gedacht und ich machte mir sogar kurz Sorgen, ob es zum Bestehen gereicht hatte
– dem war aber zum Glück so.
Abgesehen davon war die Woche von einem seltsamen Gefühl begleitet, denn es
war meine letzte richtige Uni-Woche. Neben den vielen letzten Kursen und ersten
Abschieden nahm ich an meinem letzten General Meeting von Rotaract teil und
hatte ein Abschlussdinner mit meinem Committee in einem sehr leckeren
Sushi-Lokal.
Yvonne hatte mir zum 1. Dezember tatsächlich einen Adventskalender geschenkt, und ich hatte mir eine kleine Filztanne weihnachtlich geschmückt, um mein Zimmer ein wenig weihnachtlich aussehen zu lassen, doch um noch die letzte gemeinsame Zeit mit meinen Freunden zusammen zu genießen, als auch ein
bisschen Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen, beschloss ich, am Donnerstag
einen Adventsabend zu veranstalten und ein paar deutsche Traditionen zu
zelebrieren, die die Amerikaner so nicht kennen und die ich sonst vermisst
hätte. Mit Andy hatte ich am Montag davor ein leckeres Essen gekocht und
anschließend schon ein geeignetes Plätzchenrezept aus Yvonnes deutschem
Weihnachtsbäckerei-Buch herausgesucht. Kristina, Angel, Rebecca und ihre
Mitbewohnerin, Andy und Maximilian kamen vorbei, Faye stieß auch dazu, und untermalt
von Weihnachtsmusik versuchten wir uns am selbstgekochten Glühwein, stachen Plätzchen
aus und verzierten und vernaschten diese danach. Es war ein sehr schöner, sehr
gemütlicher Abend, der uns auch alle ein bisschen in weihnachtliche Stimmung
brachte.
Am Freitag stattete ich nach nur sehr wenig Schlaf abends dem
Deutsch-Stammtisch noch einen Besuch ab und lernte just ein paar sehr liebe
Mädels aus Deutschland kennen, mit denen Angel, Maximilian und ich anschließend
noch einen Crêpe-Laden in Berkeley testeten. Der Abend endete für mich jedoch nach dem
Fitnessstudio noch im Student Learning Center, da meine Hausarbeiten noch immer
nicht fertig geschrieben waren und ich den Samstag nicht vorm Laptop verbringen
wollte. Stattdessen traf ich mich morgens mit Riad in San Francisco – wir hatten
uns im Trader Joe’s kennen gelernt, als er mich nach einer von mir an den
Angestellten gerichteten Frage ansprach, ob ich aus Deutschland sei, er
könnte nämlich auch fließend deutsch, weil seine Oma daher stammt. Nachdem wir
einen leckeren, typisch amerikanischen Brunch genossen hatten, zeigte er mir den
Mission Dolores Park – ein wunderbarer Park, von dem man aus einen ganz
fabelhaften Blick auf Downtown hat. Die
Wiese war noch etwas schlammig und glitschig vom Regen der vergangenen
Tage, also prophezeite ich: "Ich falle bestimmt gleich hin." Und
flatsch, kaum war es gesagt, da lag ich auch schon mitten im Matsch -
sehr gute Aktion. Sobald wir saßen, konnten wir den Blick und das Wetter genießen; die Sonne schien, die Leute um uns herum
saßen im Gras, sonnten sich und ließen es sich gut gehen – und das taten wir
auch und stießen mit einem Gläschen Weißwein an. In dieser Gegend ist das
tatsächlich möglich, an sich ist öffentliches Trinken von Alkohol in den
USA illegal. Witzig war der Vormittag zudem, weil ich mich mal wieder von meiner besten Seite präsentierte. Als wir über New York sprachen und was wir dort unternommen hatten, meinte ich, dass wir auf dem hohen Gebäude waren, kam aber nicht auf den Namen: "Wie heißt denn das Gebäude, es fängt mit 'M' an?" - "Empire State Building?"- herrliche Situationskomik.
Nachdem Riad zur Arbeit musste, machte ich mich auf den Weg zurück
zur Powell St., wo ich Andy traf. Auf der Market St. wurde eine Kundgebung anlässlich des Ferguson- und Garner-Falls abgehalten, jedoch lief diese sehr friedlich und
vergleichsweise ruhig ab. Spontan entschieden wir, dass wir gerne die Twin Peaks sehen würden und dachten, dass diese sicherlich entspannt zu
Fuß zu erreichen wären. Weitaus später als erwartet erklommen wir schließlich
in der Dämmerung einen der beiden nebeneinander liegenden Hügel im Westen San
Franciscos – und wurden mit einer unglaublichen Sicht auf San Francisco bei
Nacht belohnt. Die zweite Flasche Wein an diesem Tag wurde geköpft, und auf
einem Fels sitzend genossen wir den Blick und aßen Plätzchen. Auf jeden Fall ein ulkiger Nikolausabend.
Auf dem Rückweg waren wir nicht
erpicht darauf, den ganzen Weg wieder laufen zu müssen, also fragten wir einen
Autofahrer, ob er uns wohl bis runter mitnehmen könnte – auch dies ist eine
Sache, die ich mich in Deutschland nicht nur weniger trauen würde, sondern die
wohl auch weniger wahrscheinlich funktionieren würde. Wir entschieden uns, mit
der MUNI, eine Art Straßenbahn, die ober- und unterirdisch in San Francisco
verkehrt, ins Castro Viertel zu fahren, wo wir ein vorzügliches mediterranes
Restaurant entdeckten, das ich auch aus Berkeley kannte. Bevor ich mich auf den
Weg zurück machte, ließen wir es uns nicht nehmen, noch einen Abstecher zum
mittlerweile weihnachtlich dekorierten Union Square zu machen und dort ein paar
kitschige Fotos aufzunehmen – wirklich furchtbar kitschig - um uns anschließend darüber kaputt zu lachen.
Wieder in Berkeley angekommen, radelte ich zurück nach Hause und war etwas
verwirrt, da mir ständig Polizeiautos über den Weg fuhren, viele Kreuzungen
abgesperrt waren, und ich einmal an einem Grüppchen junger Leute vorbeifuhr,
das von einer Menge Polizisten umgeben war. Zuhause klärte Jed mich auf: am
Nachmittag hatte es große Proteste in Berkeley gegeben, an denen sich
hauptsächlich Studierende beteiligt hatten. Sie hatten sich gegen die willkürliche
Polizeigewalt gerichtet, die sowohl in Ferguson als auch im Fall von Eric
Garner eingesetzt worden war und zum Tod zweier Menschen geführt hatte. Vor allem aber war es
nicht zu einem fairen Prozess gekommen, sondern die verantwortlichen
Polizisten waren ohne gerichtliche Rechtfertigung davongekommen. Zwischenzeitlich
war die BART nicht benutzbar, die Straßen waren gesperrt, aber es war
weitgehend friedlich. Bis Randalierer beschlossen, Scheiben
einzuschlagen und Läden zu plündern, mitunter Trader Joe's und Whole Foods,
zwei der großen Supermarktketten in Berkeley, einer der beiden bei uns
Zuhause um die Ecke. Daraufhin eskalierte die Situation offensichtlich, die
Polizei schoss mit Gummikugeln auf Demonstranten, um die Menge zurückzutreiben,
und setzte Tränengas ein. Kurzum, es war ein einziges Chaos an diesem Abend in
Berkeley, und bis weit nach Mitternacht flogen die Hubschrauber über meinen
Kopf hinweg. Die Proteste hielten noch die gesamte Woche an, insbesondere gegen
Polizeigewalt wurde nun auch wegen der eigens gemachten Erfahrungen
demonstriert, und führten zu teils mehr, teils weniger chaotischen Zuständen in
der Stadt. Von alledem bekam ich aber persönlich nichts mehr mit - ich saß am
Sonntagmittag nämlich bereits in meinenem Flugzeug Richtung Ostküste! Ein paar Wochen zuvor
hatte ich mich mit meiner ehemaligen Gastfamilie in Verbindung gesetzt, bei
der ich 2010 ein paar Wochen in Portland, Oregon verbracht hatte und die uns auch in
Leipzig besucht hatte, nachdem meine Gastschwester Tylda ebenfalls ein paar Wochen bei uns gelebt
hatte. Die zweite Dezemberwoche passte perfekt, denn mir standen nicht viele
Finals bevor in der letzten Studienwoche, und die vorletzte Woche, die
sogenannte 'RRR week', stehend für 'Reading, Review, Recitation week' und umgangssprachlich auch 'dead week' genannt, dient den Studierenden ausschließlich der Vorbereitung
auf die Finals. Somit entschloss ich kurzerhand, der 'dead week' zu entfliehen und zu verreisen statt zu lernen. Und so stattete ich Tylda sowie ihrer Mutter Nasha einen Besuch in Pittsburgh, Pensylvannia ab, wo sie mittlerweile hingezogen waren. Aber dazu mehr im Folgenden...
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