Montag, 9. Februar 2015

Die letzte Uniwoche, die ersten Abschiede und Adventsstimmung

Nachdem ich an Thanksgiving Kraft getankt hatte für den letzten Schwung an Finals und Assignments, verbrachte ich das restliche Wochenende in einem sehr gemütliche Café in Campusnähe und beschäftigte mich mit meinen Hausarbeiten. Sich mit Laptop bewaffnet in Cafés zu setzen und für die Uni zu arbeiten, scheint mir in Deutschland weniger verbreitet zu sein, ist in Berkeley hingegen gang und gäbe. Mir gefiel die Atmosphäre besser als in der Bibliothek: es war still, da wirklich fast alle Anwesenden arbeiteten, aber nicht so unangenehm gedämpft wie in einer Bibliothek, die Musik dudelte leise vor sich hin, und falls man zwischendurch einen Kaffee oder einen Snack brauchte, musste man nur ein paar Schritte zum Tresen laufen. Obwohl das Wochenende also weniger aufregend war, überkam mich doch kein allzu wehmütiges Gefühl beim Blick nach draußen – da erblickte man nämlich nur den unnachgiebig starken Schauerregen und grauen Himmel.
Ähnlich wie am Wochenende ging es dann auch in der darauffolgenden Woche weiter – das Wetter blieb beständig schlecht und ich musste zwei Assignments abgeben und mein erstes Final Exam schreiben. Dafür lernte ich am Abend vorher noch mit Roshny, einer Freundin, die ich in dem entsprechenden Kurs kennen gelernt hatte, im Student Learning Center. Dies ist ein riesiger Raum in einem Campusgebäude, der 24 Stunden am Tag und 6 Tage die Woche offen hat. Und Gerüchten zufolge befinden sich auch wirklich immer Studierende dort.
Wir gingen unsere Notizen einmal durch und gingen relativ entspannt in die Prüfung, da es sich bei dieser nur um einen Multiple Choice-Test handelte. Da in den Kurs etwa 700 Studierende eingeschrieben waren, war die Prüfung die reinste Massenabfertigung – im Vorhinein musste man sich einen Papierbogen kaufen, der maschinenlesbar ist und auf dem man bis zu 100 Multiple Choice-Fragen beantworten kann; wichtig war, dass man zum Ankreuzen nur einen Bleistift mit einer bestimmten Härte verwendete. Zu Beginn der Prüfung bekam jeder einen eigenen Papierbogen mit individuell zusammengewürfelten Fragen, die es dann auf dem sogenannten Scantron zu beantworten galt. War man fertig, brachte man dann beides nach vorne, und dort erwartete mich ein witziges Bild; aufgrund der vielen Prüflinge waren Stapel von A bis Z gebildet worden, die sich über das gesamte Podest erstreckten, und man musste seinen Scantron auf den entsprechenden Stapel legen. Unerwarteterweise war die Prüfung am Ende kniffliger als gedacht und ich machte mir sogar kurz Sorgen, ob es zum Bestehen gereicht hatte – dem war aber zum Glück so.

Abgesehen davon war die Woche von einem seltsamen Gefühl begleitet, denn es war meine letzte richtige Uni-Woche. Neben den vielen letzten Kursen und ersten Abschieden nahm ich an meinem letzten General Meeting von Rotaract teil und hatte ein Abschlussdinner mit meinem Committee in einem sehr leckeren Sushi-Lokal.
Yvonne hatte mir zum 1. Dezember tatsächlich einen Adventskalender geschenkt, und ich hatte mir eine kleine Filztanne weihnachtlich geschmückt, um mein Zimmer ein wenig weihnachtlich aussehen zu lassen, doch um noch die letzte gemeinsame Zeit mit meinen Freunden zusammen zu genießen, als auch ein bisschen Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen, beschloss ich, am Donnerstag einen Adventsabend zu veranstalten und ein paar deutsche Traditionen zu zelebrieren, die die Amerikaner so nicht kennen und die ich sonst vermisst hätte. Mit Andy hatte ich am Montag davor ein leckeres Essen gekocht und anschließend schon ein geeignetes Plätzchenrezept aus Yvonnes deutschem Weihnachtsbäckerei-Buch herausgesucht. Kristina, Angel, Rebecca und ihre Mitbewohnerin, Andy und Maximilian kamen vorbei, Faye stieß auch dazu, und untermalt von Weihnachtsmusik versuchten wir uns am selbstgekochten Glühwein, stachen Plätzchen aus und verzierten und vernaschten diese danach. Es war ein sehr schöner, sehr gemütlicher Abend, der uns auch alle ein bisschen in weihnachtliche Stimmung brachte.

Am Freitag stattete ich nach nur sehr wenig Schlaf abends dem Deutsch-Stammtisch noch einen Besuch ab und lernte just ein paar sehr liebe Mädels aus Deutschland kennen, mit denen Angel, Maximilian und ich anschließend noch einen Crêpe-Laden in Berkeley testeten.  Der Abend endete für mich jedoch nach dem Fitnessstudio noch im Student Learning Center, da meine Hausarbeiten noch immer nicht fertig geschrieben waren und ich den Samstag nicht vorm Laptop verbringen wollte. Stattdessen traf ich mich morgens mit Riad in San Francisco – wir hatten uns im Trader Joe’s kennen gelernt, als er mich nach einer von mir an den Angestellten gerichteten Frage ansprach, ob ich aus Deutschland sei, er könnte nämlich auch fließend deutsch, weil seine Oma daher stammt. Nachdem wir einen leckeren, typisch amerikanischen Brunch genossen hatten, zeigte er mir den Mission Dolores Park – ein wunderbarer Park, von dem man aus einen ganz fabelhaften Blick auf Downtown hat. Die Wiese war noch etwas schlammig und glitschig vom Regen der vergangenen Tage, also prophezeite ich: "Ich falle bestimmt gleich hin." Und flatsch, kaum war es gesagt, da lag ich auch schon mitten im Matsch - sehr gute Aktion. Sobald wir saßen, konnten wir den Blick und das Wetter genießen; die Sonne schien, die Leute um uns herum saßen im Gras, sonnten sich und ließen es sich gut gehen – und das taten wir auch und stießen mit einem Gläschen Weißwein an. In dieser Gegend ist das tatsächlich möglich, an sich ist öffentliches Trinken von Alkohol in den USA illegal. Witzig war der Vormittag zudem, weil ich mich mal wieder von meiner besten Seite präsentierte. Als wir über New York sprachen und was wir dort unternommen hatten, meinte ich, dass wir auf dem hohen Gebäude waren, kam aber nicht auf den Namen: "Wie heißt denn das Gebäude, es fängt mit 'M' an?" - "Empire State Building?"- herrliche Situationskomik.


Nachdem Riad zur Arbeit musste, machte ich mich auf den Weg zurück zur Powell St., wo ich Andy traf. Auf der Market St. wurde eine Kundgebung anlässlich des Ferguson- und Garner-Falls abgehalten, jedoch lief diese sehr friedlich und vergleichsweise ruhig ab. Spontan entschieden wir, dass wir gerne die Twin Peaks sehen würden und dachten, dass diese sicherlich entspannt zu Fuß zu erreichen wären. Weitaus später als erwartet erklommen wir schließlich in der Dämmerung einen der beiden nebeneinander liegenden Hügel im Westen San Franciscos – und wurden mit einer unglaublichen Sicht auf San Francisco bei Nacht belohnt. Die zweite Flasche Wein an diesem Tag wurde geköpft, und auf einem Fels sitzend genossen wir den Blick und aßen Plätzchen. Auf jeden Fall ein ulkiger Nikolausabend.


Auf dem Rückweg waren wir nicht erpicht darauf, den ganzen Weg wieder laufen zu müssen, also fragten wir einen Autofahrer, ob er uns wohl bis runter mitnehmen könnte – auch dies ist eine Sache, die ich mich in Deutschland nicht nur weniger trauen würde, sondern die wohl auch weniger wahrscheinlich funktionieren würde. Wir entschieden uns, mit der MUNI, eine Art Straßenbahn, die ober- und unterirdisch in San Francisco verkehrt, ins Castro Viertel zu fahren, wo wir ein vorzügliches mediterranes Restaurant entdeckten, das ich auch aus Berkeley kannte. Bevor ich mich auf den Weg zurück machte, ließen wir es uns nicht nehmen, noch einen Abstecher zum mittlerweile weihnachtlich dekorierten Union Square zu machen und dort ein paar kitschige Fotos aufzunehmen – wirklich furchtbar kitschig - um uns anschließend darüber kaputt zu lachen.

Wieder in Berkeley angekommen, radelte ich zurück nach Hause und war etwas verwirrt, da mir ständig Polizeiautos über den Weg fuhren, viele Kreuzungen abgesperrt waren, und ich einmal an einem Grüppchen junger Leute vorbeifuhr, das von einer Menge Polizisten umgeben war. Zuhause klärte Jed mich auf: am Nachmittag hatte es große Proteste in Berkeley gegeben, an denen sich hauptsächlich Studierende beteiligt hatten. Sie hatten sich gegen die willkürliche Polizeigewalt gerichtet, die sowohl in Ferguson als auch im Fall von Eric Garner eingesetzt worden war und zum Tod zweier Menschen geführt hatte. Vor allem aber war es nicht zu einem fairen Prozess gekommen, sondern die verantwortlichen Polizisten waren ohne gerichtliche Rechtfertigung davongekommen. Zwischenzeitlich war die BART nicht benutzbar, die Straßen waren gesperrt, aber es war weitgehend friedlich. Bis Randalierer beschlossen, Scheiben einzuschlagen und Läden zu plündern, mitunter Trader Joe's und Whole Foods, zwei der großen Supermarktketten in Berkeley, einer der beiden bei uns Zuhause um die Ecke. Daraufhin eskalierte die Situation offensichtlich, die Polizei schoss mit Gummikugeln auf Demonstranten, um die Menge zurückzutreiben, und setzte Tränengas ein. Kurzum, es war ein einziges Chaos an diesem Abend in Berkeley, und bis weit nach Mitternacht flogen die Hubschrauber über meinen Kopf hinweg. Die Proteste hielten noch die gesamte Woche an, insbesondere gegen Polizeigewalt wurde nun auch wegen der eigens gemachten Erfahrungen demonstriert, und führten zu teils mehr, teils weniger chaotischen Zuständen in der Stadt. Von alledem bekam ich aber persönlich nichts mehr mit - ich saß am Sonntagmittag nämlich bereits in meinenem Flugzeug Richtung Ostküste! Ein paar Wochen zuvor hatte ich mich mit meiner ehemaligen Gastfamilie in Verbindung gesetzt, bei der ich 2010 ein paar Wochen in Portland, Oregon verbracht hatte und die uns auch in Leipzig besucht hatte, nachdem meine Gastschwester Tylda ebenfalls ein paar Wochen bei uns gelebt hatte. Die zweite Dezemberwoche passte perfekt, denn mir standen nicht viele Finals bevor in der letzten Studienwoche, und die vorletzte Woche, die sogenannte 'RRR week', stehend für 'Reading, Review, Recitation week' und umgangssprachlich auch 'dead week' genannt, dient den Studierenden ausschließlich der Vorbereitung auf die Finals. Somit entschloss ich kurzerhand, der 'dead week' zu entfliehen und zu verreisen statt zu lernen. Und so stattete ich Tylda sowie ihrer Mutter Nasha einen Besuch in Pittsburgh, Pensylvannia ab, wo sie mittlerweile hingezogen waren. Aber dazu mehr im Folgenden...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen