Samstag, 29. November 2014

Happy Thanksgiving! - und Anekdoten über die Aufwärtsspirale des gegenseitigen Glücklichmachens

Die letzten Wochen waren mal wieder unglaublich entspannt für mich. Während ich für die Universität nicht viel zu tun hatte, habe ich meine Zeit unter der Woche mit vielen Kaffeepausen mit Freunden, Clubtreffen und Sport gefüllt, und die  mit allerlei spaßigen Beschäftigungen vollgepackten Wochenenden genossen. Zwischendurch zeigt sich der Herbst und lässt es ein wenig regnen und die Temperaturen um ein paar Grad purzeln, allerdings nicht unter 10°. Nachts hat er auch schon die Überhand, doch tagsüber sind die meisten Tage noch immer sommerlich – mit strahlend blauem Himmel, Sonnenschein und um 20°!
 
Vorletztes Wochenende habe ich endlich mal wieder viel Zeit mit Angel verbracht. Am Freitag habe ich sie an ihrem Arbeitsplatz, der der Lawrence Hall of Science, besucht. Mit einem Shuttle kann man vom Campus aus die Hügel hinauffahren und als Studierender in Berkeley kostenlos in dieses Naturwissenschaftsmuseum, das eigentlich Kinder als Zielgruppe ansprechen soll. Doch wie in allen Museen dieser Art, konnte ich mich ewig damit beschäftigen, all die interaktiven Angebote auszuprobieren. Ich habe einen kleinen Fallschirm gebastelt, den ich über einer Luftsäule habe fliegen lassen, zwei kleine Stop-Motion-Videos gedreht und schließlich begeistert eine Erdkugel entdeckt, auf die man die verschiedensten Karten projizieren lassen kann, wie zum Beispiel eine Visualisierung der Erde bei Nacht, des Flugverkehrs oder der weltweiten Facebook-Vernetzungen. Außerdem konnte man über einer Installation aus Sand durch Heben der Hand Regen aus Licht erzeugen, der im Plateau Seen bildet und von Bergen herabfließt.  Und schließlich gab es noch Dinosaurierknochen zu entdecken und ein spaßiges Gerät aus kleinen Stäben, die sich in beide Richtungen verschieben lassen.





Nachdem Angel Feierabend hatte, sind wir ein bisschen den Hügel hinunterlaufen und haben uns den Botanischen Garten der UC Berkeley angesehen, der für Studierende ebenfalls frei zugänglich ist und in dem nach Klimazonen geordnet die verschiedensten Pflanzen zu bewundern sind.




 








Nach einem thailändischen gemeinsamen Abendessen habe ich mich danach auf den Weg nach Oakland gemacht, da Cal Rotaract ein gemeinsames Eislaufen organisiert hatte. Wie immer hat sich meine Freude am Eislaufen nur langsam aufgebaut, und ist, nachdem ich endlich wieder in der Lage war, ein paar Runden zu fahren, auch schnell wieder abgeflaut. Nichtsdestotrotz habe ich mal wieder nette Bekanntschaften gemacht.
 

 








 
Samstags sind Angel und ich zusammen die Fire Trails hinaufgewandert, von denen man ein einmaliges Panorama über die Bucht erblicken kann, und haben dann das sogenannte Gourmet Ghetto aufgesucht, das den Namen aufgrund der vielen dort liegenden Restaurants trägt.

Im sogenannten Cheeseboard gibt es eine Pizzeria, die täglich eine vegetarische Pizza anbietet, die das Warten in der Schlange definitiv wert ist. Während man auf den Bänken auf der Straße sitzt, kann man das Treiben auf den Straßen beobachten, untermalt von den Klängen einer Jazzband. Neben den vielen Restaurants gibt es auch einige Galerien und schöne Gebäude, und deswegen habe ich mir gedacht, dass es sicherlich auch abends sehr schön in diesem Viertel sein muss. Falsch gedacht, als Andy und ich am Montag danach weitere Restaurants erkunden wollten, stießen wir nur auf geschlossene Läden und ausgestorbene Straßen. Auf der Solano Avenue haben wir zwar ein gutes indisches Restaurant gefunden, in dem wir aber um exakt 22 Uhr durch Ausschalten der Lichter dezent aufgefordert wurden, zu gehen. Wohlbemerkt hatten wir noch nicht mal aufgegessen. Wieder mal ein Aspekt der amerikanischen Esskultur, der mir missfällt.

Außerdem habe ich mich mal ein bisschen in Berkeleys Nachtleben gestürzt, was aus drei Gründen weniger spaßig als in Deutschland war: Erstens, wirkliche Clubs zum Tanzen gehen gibt es hier in Berkeley kaum, und die Sperrstunde für die wenigen Partys als auch Bars im Allgemeinen ist bereits um 2 Uhr. Zweitens, mit meinen jungen 20 Jahren komme ich in keine normale Bar oder Party rein. Nur ausnahmsweise waren an diesem Wochenende ein paar 18+ Veranstaltungen, bei denen man nach der Ausweiskontrolle nicht nur kein farbiges Bändchen bekommt, das signalisieren würde, dass man trinken darf, sondern obendrauf zwei fette, schwarze Kreuze auf beide Hände gemalt bekommt. Neben der Verhinderung des Alkoholausschanks hat dies den Zweck, dass herumlaufende Mitarbeiter auf der Tanzfläche schnell erkennen, wer unter 21 ist und trotzdem trinkt, was einen Rauswurf zur Folge hätte. Die Alkoholpolitik ist hier wirklich, wie man sicherlich schon aus meinen Beiträgen herauslesen konnte, wahnsinnig strikt. Dafür ist Marijuana um einiges verbreiteter als in Deutschland – an jeder Ecke in Berkeley kann man den Geruch wahrnehmen. Drittens und letztens, alle meine Freunde waren nicht so sehr in Feierstimmung, also bin ich alleine zu den beiden Partys im Keller des Pappy's gegangen. Überraschender- und glücklicherweise war ich aber immer nur sehr kurz alleine und bin schnell mit Leuten ins Gespräch gekommen, mit denen ich dann die Tanzfläche unsicher machen konnte. Am Donnerstag wurde ich von einer aus Mexiko stammenden Buddhistin angesprochen, die meine Aura gespürt hatte und mir erzählte, wie unglaublich friedlich und positiv ich wirke, und wie sehr man erkennt, dass ich niemanden etwas Böses möchte und nur Liebe verbreiten weil, und wie sie in meinen Augen sehen kann, dass ich dafür manchmal abgewiesen werde. Freitags habe ich nicht weniger interessante Menschen kennen gelernt, eine Gruppe von drei aufgedrehten Mädchen, die nahe Berkeley ihre Ausbildung zur Krankenschwester machen und ganz aus dem Häuschen waren, als ich erzählt habe, dass ich ganz alleine in Berkeley bin. Und schließlich habe ich auch Abimbola kennen gelernt, ein Jura Graduate Student aus Nigeria, der mich am Samstag mit zu einer Geburtstagsparty eines Kommilitonen aus seinem Studienprogramm nach Emeryville genommen hat. Dort angekommen wurde ich aufgeklärt, dass es sich um eine Neon-Party handelte, aber zum Glück hatte ich meinen rosafarbenen Pullover an und konnte selbstsicher so tun, als ob ich das gewusst hätte. Da es sich um ein internationales Programm handelt, waren hauptsächlich International Students anwesend, und natürlich habe ich auch wieder einen Deutschen getroffen – sie sind einfach überall. 

Letzte Woche hat unser International Komitee ein Event organisiert, bei denen ich etwa 25 Leuten gezeigt habe, wie Mapping funktioniert. Meine Aufregung konnte ich gut überspielen und war selbst erstaunt, wie reibungslos meine Präsentation verlief – daran habe ich zum Glück, meinen Zweifeln entgegen, gemerkt, dass ich mich nun viel sicherer und fließender in der englischen Sprach ausdrücken kann.
 








Mit meinem anderen Club Best Buddies haben wir am Sonntag mit einer Gruppe von Menschen mit Behinderung den zweiten Teil von Shrek angesehen und hinterher noch ein nettes Gespräch geführt. Es machte uns wahrlich glücklich, zu hören, wie sehr sich viele der Anwesenden freuten, den Tag zusammen mit uns zu verbringen. Außerdem habe ich am Freitag auf dem Sproul Plaza Flyer verteilt, um am Universal Children’s Day Bewusstsein für Diversität unter Kindern und insbesondere Kinder mit Behinderung zu schaffen und zur Förderung von Gewaltpräventionsprogrammen Churros, in Kalifornien sehr beliebte längliche Krapfen, zu verkaufen. Der Sproul Plaza ist das Zentrum des Aktivismus in Berkeley, nachdem hier in den 60ern das Free Speech Movement, angeführt von Mario Savio, seinen Ursprung hatte. Jeden Tag stellen Clubs und Vereine ihre Tische auf, verteilen Flyer, sammeln Spenden oder Unterschriften für Petitionen. Demonstrationen und Proteste gehören zum normalen Studienalltag.

Diese Gruppe verlangt beispielsweise geschlechtsneutrale, sichere Toiletten.
Auch der Regen hat die Demonstranten nicht aufgehalten.


Gerade lezte Woche bewies sich einmal mehr, wie engangiert und aktiv Berkeleys Studierende sind. Ich weiß nicht, wie präsent das in Deutschland ist, aber am letzten Mittwoch hat das UC Board of Regents für eine Erhöhung der Studiengebühren aller UCs abgestimmt – und zwar eine saftige. In den nächsten fünf Jahren wird die Studiengebühr jährlich bis zu 5% erhöht, 2019 bezahlen in-state-Studierende dann $15,000 statt der bisherigen $12,000. Manche Seiten argumentieren, dass mithilfe der vermehrten Einnahmen mehr Stipendien und finanzielle Hilfe geboten werden können, und zukünftig sollen so mehrere tausend Studierende mehr anfangen können, zu studieren. Doch hört man sich unter den Studierenden um, stellt man schnell fest, dass viele Kinder gerade von Mittelklasseeltern nicht wissen, wie sie diesen Mehrbetrag finanzieren sollten und sich aber nicht  mehr für finanzielle Hilfe qualifizieren. Viele Studierende arbeiten neben dem Studium teilweise nicht nur in einem Job, und verzweifeln beim Gedanken an steigende Gebühren. Viel Unmut erzeugten aber auch weitere Vorfälle: zum Einen sitzt in dem UC Board of Regents lediglich ein Studierender als Repräsentant für alle Studierenden. Der Rest besteht unter anderem aus Menschen wie einem Milliardär und einem Hollywoodproduzent. Zum anderen kam es zu einer Festnahme eines Studierenden in San Francisco, der im Vorhinein gegen die Tuition-Anhebung protestierte. Trotz vieler dieser Proteste wurde die Erhöhung wie gesagt genehmigt, seither blockieren Studierende den größten Vorlesungssaal hier in Berkeley, die Wheeler Hall. Es wurden demokratisch Einigungen erzielt, was die Ziele der Besetzung sind, und regelmäßig werden Kundgebungen und Diskussionen gehalten. Das große Thema überall auf dem Campus, sichtbar durch davon dominierte Gespräche und Banner: Fight the Hike!















In meinem Soziologie-Kurs haben wir am Montag mit unserer Dozentin Prof. Ivester über das Geschehene diskutiert, anschließend bat sie uns, ein Foto aufzunehmen, auf dem wir mit Betroffenen Solidarität zeigen und unsere Meinung kundtun. Sehr bewegend hat sie einmal mehr betont: selbst wenn man selbst nicht direkt betroffen sein mag, so sind es die Menschen um uns herum und unsere Gesellschaft. Und als eine Gemeinschaft müssen wir für unsere Sicherheit und Gerechtigkeit für alle kämpfen.
Seit Montagabend wird hier natürlich auch der Ferguson-Vorfall sehr intensiv diskutiert, der in ganz Amerika große Proteste und Demonstrationen zur Folge hatte.

Was letzte Woche leider sicherlich noch präsenter unter den Studierenden war – man kann nur mutmaßen, dass es ein klug gewählter Zeitpunkt war, gerade dann die Studiengebühren anzuheben – war das  Big Game. Einmal im Jahr treten die Footballteams von Stanford und Berkeley gegeneinander an und versuchen, als Sieger aus der ewigen Rivalität hervorzugehen, die sowohl sportlich als auch akademisch besteht. Leider ist unser Footballteam seit einigen Jahren nicht gerade das beste, doch trotzdem war der Spirit in der Woche vor dem Spiel allumfassend und überall ungebrochen spürbar. Der Campanile Tower als auch das Sather Gate und die Wheeler Hall waren in gold und blau beleuchtet, alle waren in den Farben Berkeleys gekleidet, es fanden kleine Rituale statt, wie das spöttische Besingen Stanfords von allen Chören oder das Zerschneiden einer Tanne, das Symbol Stanfords.



Am Freitag vor dem Spiel fand die alljährliche Bonfire Rally im Greek Theatre statt, bei der mal wieder fast unheimlich pathetische und stolze Reden geschwungen wurden – wir sind die beste Universität, was auch immer die Rankings sagen, denn wir haben mehr Seele als die anderen Universitäten, und die engagiertesten Studierenden. Wir sind alle eine große Familie und jeder ist stolz und darf stolz sein, Teil dieser Familie zu sein. Der Höhepunkt war das von dramatischer Musik begleitete Anzünden des Holzhaufens in der Mitte, dessen Spitze eine Holztanne sowie die Fahne Stanfords schmückten und deren lichterlohes Verbrennen für lautes Gejubel und Geschrei sorgte. Obwohl wir relativ weit oben saßen, erreichte uns trotzdem die unerwartete Hitze des Feuers, dessen Funken weit in den Himmel hinauf schlugen. Neben all den Reden und natürlich den Auftritten der Marching Band und unserer Cheerleader hatten auch einige Studierendenchöre Beiträge vorbereitet, in denen sie sich gekonnt und mit viel Witz und Ironie über Stanford lustig machten. Wer rot trug – ihr erratet es, die Farbe Stanfords – wurde lautstark von der Menge dazu gebracht, sich diesen Kleidungsstückes zu entledigen mit dem Ruf: „Take off that red shirt, take off that red shirt!“. Nicht fehlen durfte das Proben all unserer Hymnen und Schlachtrufe: der Axe-Ruf (als „ sehr kultivierter und gewaltloser Ruf“ angekündigt) „Give them the axe, the axe, the axe – where? Right in the neck, in the neck, in the neck – there!“, „You know it! – What? – You tell the story! – What? - You tell the whole damn world this is bear territory!” und das beeindruckend mehrstimmige und dadurch durchdringende summende Singen der Menge: “Roll on you bears.” 




Am Samstag war dann auch gefühlt ganz Berkeley auf den Beinen und strömte in Massen ins Stadion, um, natürlich in blau und gold gekleidet, unsere Cal Bears anzufeuern. Was man an dieser Stelle jedoch ganz klar betonen muss: ganz anders als bei Fußballspielen in Deutschland und nach dem Axt-Ruf vielleicht unerwartet sind die Fans verschiedener Teams nicht im Entferntesten an persönlichen Konflikten interessiert. Es gibt zwar einen Block für Gäste, doch hier und da stach auch mal ein Stanfordanhänger durch rote Kleidung heraus, was keinerlei Anfeindungen zur Folge hatte. Das Spiel selbst war leider nicht besonders erheiternd, schon nach kurzer Zeit legte sich der Kampfgeist und Optimismus der Golden Bears-Anhänger und wich einem ernüchtertem Klatschen. Die Stimmung im sogenannten Student Block war trotzdem enorm, und unsere Marching Band beeindruckte in der Halbzeit mal wieder mit exakten, absolut synchronen Choreographien. Da das Spiel aber wiedermal 4 Stunden dauerte, blieben viele noch nicht mal bis zum Schluss, was die Stimmung nicht gerade besser werden ließ, und schließlich verloren die Bears 38-17. Kristina, Verena und ich waren uns beim abschließenden Kakao aber trotzdem einig, froh zu sein um die Erfahrung, beim Big Game dabei gewesen zu sein, was Kristinas Geburtstagsgeschenk von uns gewesen war.
 











Später am Abend stoß ich noch zu meinen Big Sur-Kumpanen Milan, Theo und Andy sowie deren Freunden, und wir feierten trotz Verlust in einer Bar und anschließend bei einem der Freunde Zuhause. Der Höhepunkt des Abends waren seine Haustiere, zwei kleine Würgeschlangen, die in der Wohnung herumschlängeln dürfen und sich dann gerne auf sitzenden Menschen ausruhen.

Ansonsten habe ich San Francisco noch ein bisschen weiter erkundet – diesmal zusammen mit Andy. Am letzten Donnerstag haben wir uns gleich den neu herausgekommenen dritten Teil der Panem-Trilogie angesehen und dies mit einem Abstecher ins Little Italy verbunden. Auf dem Weg zum Kino konnten wir schon die weihnachtliche Dekoration, insbesondere auf dem Union Square, bewundern - neben Tannen sind hier auch Palmen mit Lichterketten geschmückt!
Am Sonntag haben wir dann unseren Radius erweitert und waren im Mission District unterwegs. Entweder übertreiben die Leute, die mir dieses Viertel als Mittelpunkt der jungen Hipster-Szene, in dem Subkulturen zusammentreffen und Kunst allgegenwärtig ist, empfohlen haben. Oder wir haben uns auf den falschen Straßen bewegt. Keine Frage, die vielen farbgewaltigen und ausdrucksstarken Graffiti-Gemälde an den Häuserwänden sind schön anzusehen, es gibt ein paar süße kleine Cafés, Buchläden und Gemüseläden, und die Atmosphäre ist definitiv anders als in den anderen Vierteln San Franciscos – internationaler, jünger und weniger touristisch. Doch wir hatten  das Gefühl, dass es außerhalb von zwei Hauptstraßen nur Wohngegenden gab. Vielleicht lohnt sich ein Ausflug in den Mission District nochmal in Begleitung von jemandem, der sich ein wenig auskennt.

Als wir danach durchs Chinatown - natürlich waren schon fast alle Läden geschlossen, es war ja schon nach 7 - erneut ins North Beach gelaufen sind, haben wir einvernehmlich festgestellt, dass diese bunte Ansammlung der vielen italienischen Restaurants, Bars und anderen Vergnügungseinrichtigungen das uns liebste der bisher gesehenen Vierteln ist.
Nach einem kleinen Abstecher zum Coit Tower, um das Panorama vom Telegraph Hill aus bewundern zu können, das ich mir nie lang und oft genug werde ansehen können, haben wir uns in einer Gelateria ein, wie leider immer, überteuertes, aber wahnsinnig gutes Eis gegönnt und haben uns einmal mehr ein bisschen wie in Italien gefühlt. Durch den Financial District, in dem sich die Stadt durch die vielen hohen Gebäuden und astrein polierten Banken ebenfalls von einer ganz anderen Seite zeigt, ging es wieder zurück nach Downtown, um mit der Bart den Heimweg anzutreten. Nachdem wir nun den direkten Vergleich der verschiedenen Gegenden anstellen konnten, kamen wir zu dem Schluss, dass San Francisco sehr vieles sein kann und viele Gesichter hat. Abhängig von der Gegend, in der man sich aufhält, sieht man die verschiedensten Dinge und bekommt einen sehr unterschiedlichen Eindruck von der Stadt.

Mit einer leichten Erkältung habe ich in den letzten Tagen entspannt Thanksgiving entgegen geblickt – gestern war es soweit!
Als Einklang auf diesen Feiertag, dank dem wir ein verlängertes Wochenende haben, waren meine gesamte Gastfamilie und ich (mittlerweile sind wir sieben an der Zahl - Yvonnes Mutter ist vor den Minusgraden in Minnesota geflohen und vorübergehend hier eingezogen, und über die Feiertage hatte Annika Besuch von einer Freundin, die in New York zur Schule geht) am Mittwochabend in San Francisco in der Oper in einer wunderbar inszenierten, amüsanten und sehr gekonnt umgesetzten Aufführung von Rossinis „La Gerentola“, die italienische Cinderella.



Zum großen Thanksgiving Essen wurden wir alle von der Familie von Fayes Freund Tristan eingeladen. Es ist Tradition, dass man Thanksgiving in großer Runde feiert, der Gastgeber den Truthahn zubereitet und jeder Gast etwas zum Essen mitbringt. Nachdem wir morgens alle in der Küche gestanden hatten, sind wir gegen Mittag bei Tristan angekommen und haben die letzten Vorbereitungen für unser Festmahl getroffen. Als schließlich alle fünfzehn Menschen an dem in Herbsttönen gedeckten, mit Blättern verzierten Tisch versammelt waren, sprach Familienvater Jim ein paar Worte und bat uns, einen Moment in Stille zu verbringen und darüber nachzudenken, wofür wir dankbar sind. Nachdem die traditionelle Erklärung für Thanksgiving ja historisch anfechtbar ist, wird der Feiertag heute vielmehr wahrgenommen als Möglichkeit innezuhalten im Kreis der Familie und sich den Dingen bewusst zu werden, für die wir dankbar sein können. In meiner Gastfamilie ist der Brauch, dass vor dem Essen jeder erzählt, wofür er oder sie dankbar ist – so ist das zumindest im Stillen geschehen. Und dann durften wir beginnen: gefüllter Truthahn, Kartoffelbrei, Süßkartoffelbrei, Cranberrysauce, Grünkohl mit Bohnen, Biskuits, grüner Salat und Früchtesalat waren aufgetischt.


Während dem Essen wurde darüber gesprochen, woher die Namen der Familien stammen und aus welchen Ländern ihre Vorfahren eingewandert sind. Das war unglaublich interessant, und führte einmal mehr vor Augen, dass vor ein paar Generationen alle Amerikaner Immigranten waren. Nur  Annika und Iris, beide aus China, und ich, konnten von keinen eingewanderten Vorfahren erzählen und hatten sehr chinesische, beziehungsweise deutsche Nachnamen. Nachdem alle in die für große Festmahle so typische Müdigkeit verfielen, saßen wir gemütlich im Wohnzimmer und probierten uns durch die verrückten Geschmäcker der Jelly Beans. Die eine Hälfte der Familie machte einen kleinen Spaziergang, während wir entschieden im Warmen zu bleiben und ein Puzzle zu beginnen. Im Hintergrund lief den Familienmännern zuliebe das Footballspiel, allerdings ohne Ton, und auch sonst wurde von der so oft verpönten und in Amerika tatsächlich sehr präsenten Distraktion durch Medien Abstand genommen. Nachdem wir uns alle wieder dazu in der Lage fühlten, gab es zum Dessert Pekannuss Pie, Kürbis Pie und Apfelkuchen. Ein paar Familienmitglieder führten ein paar kleine Zaubertricks vor, dann wandten wir uns wieder unseren Gesprächen, Büchern und Puzzle im Wohnzimmer zu und so ging ein, wie mir im Nachhinein versichert wurde, sehr typisches Thanksgiving seinem Ende zu. Die gesamte Atmosphäre war unglaublich entspannt und familiär, es wurden keine angestrengten Gespräche geführt, sondern in Ruhe, besonnen und dankbar Zeit zusammen verbracht. Ich finde diesen Feiertag sehr schön, sowohl seine Bedeutung als auch, wie er verbracht wird. Ich kann verstehen, warum dieser Tag der Lieblingsfeiertag vieler Amerikaner ist.

Lediglich der Black Friday hat dem Ganzen wieder ein wenig den Zauber genommen. So erfreulich die Besinnung an Thanksgiving ist, wird sie gegen Mitternacht, manchmal sogar schon früher, gegen unlimitierten Konsumwahn ausgetauscht. Am Black Friday wird die Weihnachts-Einkaufszeit offiziell eröffnet und die Geschäfte lassen für einen Tag die Preise fallen und bieten gewaltige Rabatte an. Die Gerüchte von Menschen, die deswegen bereits vor Ladeneröffnung morgens in einer Schlange stehen - sie stimmen leider. Ich habe den Wahnsinn verweigert und mich von allen Shoppingmeilen ferngehalten. Annika und Iris waren in San Francisco und haben erzählt, dass enorm viele Polizisten und Demonstranten unterwegs waren, die darauf aufmerksam wollten, dass nach dem Vorfall in Ferguson nicht wie gewohnt weitergemacht werden darf - no business as usual. In West Oakland haben sich einige Protestanten in der BART-Station zusammengekettet und so den gesamten Verkehr in der Bay Area auf den Kopf gestellt, denn dies ist die einzige Station, die die Bucht unter dem Wasser mit San Francisco verbindet.
Einen schönen und erneut sehr gemütlichen Abend haben meine Gastfamilie und ich mit einem zweiten, kleineren Truthahnessen verbracht, für den ich eigens einen deutschen Kartoffelsalat gemacht habe. Erneut haben wir während des Essens sehr anregende Gespräche geführt über - wie könnte es anders sein - den Ferguson-Fall, die amerikanische Waffenpolitik und andere, weniger bedrückende Themen. Da Thanksgiving nun vorbei ist, darf die Weihnachtszeit nun offiziell beginnen, und so hörten wir bereits Weihnachtslieder und saßen nach dem Essen zusammen am Kamin und spielten, lasen oder handarbeiteten.


Eine gute Story habe ich noch: am Montag wurde ich wieder einmal fast angefahren, diesmal war es allerdings um einiges knapper als sonst – ich bin auf dem Fahrradweg gefahren als plötzlich ein Auto vor mir einscherte und ein anderes Auto von rechts überholte. Ich konnte gerade noch meinen Lenker zur Seite ziehen, und trotz meinen Rufen hat die Fahrerin mich nicht mal bemerkt. Leider kommt es hier häufiger zu solchen Situationen – die Autofahrer sind vermutlich nicht so sehr daran gewöhnt, auf Fahrräder achten zu müssen. Und sie blinken sehr oft nicht, was ebenfalls sehr nervig ist. Wie auch immer, mit einem leichten Schock bin ich unversehrt weiter gefahren, um dann ein paar Straßen weiter beim versuchten Absteigen, um eine große Straße zu überqueren, auf die falsche, andere als geplante Seite zu kippen, den abgeschrägten und somit tieferen Boden dort nicht zu erreichen und vom Fahrrad zu fallen und mir die Hand aufzuschrammen. Was für eine Glanzleistung! Die Geschichte ist allerdings nicht nur eine weitere schöne Anekdote, die meine Tollpatschigkeit zur Geltung bringt und meine besondere Gabe, Unfällen knapp zu entkommen, um mich dann umgehend aus eigener Kraft hinzulegen. Nein, denn sie geht noch weiter: direkt mir gegenüber hatte ein Feuerwehrauto geparkt und ein Feuerwehrmann kam zu mir herrüber und fragte mich besorgt, ob alles in Ordnung sei. Ein bisschen peinlich berührt erzählte ich ihm, was passiert war, aber er meinte nur: Oh, es ist einer dieser Tage. Dann holte er mir ein Pflaster, fragte mich nochmals ob alles in Ordnung sei, versicherte mir, dass es jedem mal so gehen würde und wünschte mir, dass mein Tag noch besser werden würde. Und als ich wieder auf dem Fahrrad saß, merkte ich, dass er das bereits geworden war!
Ich staune jedes Mal wieder, wie sehr eine kurze Begegnung, ein aufmerksames Nachfragen, ein paar freundliche Worte oder ein aufrichtiges Lächeln eines Fremden die Stimmung aufhellen können. Die Menschen hier haben das bereits verinnerlicht und sind alle viel freundlicher zueinander als die Menschen in Deutschland. Auf der Straße grüßt man entgegenkommende Fremde, die gesamte Sprache und Kommunikation ist höflicher. Ich finde es schade, dass dies oft als Oberflächlichkeit missinterpretiert wird.
Ich werde versuchen, diese Einstellung mit nach Deutschland zu bringen – in einer Aufwärtsspirale bessern und verstärken sich gegenseitig die eigene Stimmung und die Reaktionen anderer auf die eigene Person, wenn man freundlich, offen und eben auch mal unbekannterweise aufeinander zugeht. Harmonie für alle! Spread the love! :)

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