Sonntag, 10. Juli 2016

Abschließende Gedanken zu meiner Zeit in Cusco - und ab ins Andenhochland (07.-09. Juli: Andayhuaylas und Ayacucho)

An meinem letzten Tag in Cusco habe ich letzte Besorgungen erledigt, ein sehr schönes Abschlussessen mit Rosa im Greepoint gehabt und mich mit Hannah auf einen Saft in San Blas getroffen. Sie ist die neue Praktikantin bei CID und hatte mich tags zuvor kontaktiert, da sie auch gerade vor Herausforderungen steht und gerne genauer hören wollte, was bei mir losgewesen war und warum ich mich entschlossen hatte, zu gehen - Nanci hatte erzählt, ich sei gegangen, weil mir das Praktikum fachlich nicht gefallen habe, da ich Psychologie studiert habe, was mich schon wieder ziemlich aufgeregt hat, aber Eduardo hatte die Dinge zum Glück zurecht gerückt und Hannah von den wahren Beweggründen meiner Entscheidung berichtet. Witzigerweise hatte sie von Sebastian von CID gehört, mit dem ich wiederum auch bereits Kontakt hatte, um von seinen Erfahrungen zu hören - die Welt ist so klein. Apropos kleine Welt: in meinem Hostel waren zwei Mädels aus Leipzig, und dass ich ein paar Leuten in Cusco über den Weg lief, die ich auf der Machu Picchu-Tour kennen gelernt hatte, versteht sich von selbst. Da ich ein Päckchen meiner Eltern erwartete, das noch immer nicht bei meinen Ex-Vermietern angekommen war, lief ich am Mittwoch auch zur Hauptpost - und tatsächliche durfte ich das Lager betreten, wo ein Herr Sendungsnummern abglich und Pakete aus riesigen Haufen herausfischte. Und siehe da: mein Päckchen war dabei und ganz unbürokratisch durfte ich es mitnehmen. Darin befand sich ein Handy, und somit war der letzte Grund, in Cusco zu bleiben, verschwunden und ich beschloss, mich am nächsten Morgen auf den Weg Richtung Ayacucho zu machen, mit einem Stopp in Andahuaylas.



Nur noch eine letzte Sache stand auf meiner Liste, und so führte mich mein Weg zu Cusco Ink, wo ich mir ein Rook ins rechte Ohr stechen ließ. Damit verbinde ich nun meine Zeit in Cusco, die mich definitiv geprägt hat. Ich wurde vor kleine und große Herausforderungen gestellt, und vieles war anders, als ich es mir vorgestellt hatte, aber ich habe viel gelernt und nehme sehr viel mit aus dieser Etappe. Rückblickend bereue ich deswegen nichts. Ich konnte viele wertvolle, stärkende Erfahrungen sammeln. Ich habe viel Zeit gehabt, nachzudenken, und fühle mich etwas geerdeter und ruhiger. Ich kann nun sehr gut alleine sein und genieße es, Zeit für mich zu haben. Ich habe gemerkt, wie langweilig ich oberflächliche Kontakt empfinde, und kann schneller ehrlicher sein. Nicht zuletzt kann ich mir nun eingestehen, dass es in Ordnung ist, dass meine Zeit hier nicht rundum rosarot und umwerfend war - hört man anderen Menschen zu, bekommt man oft diesen Erwartungsdruck, denn von Schwächen oder schlechten Tagen hört man kaum, wenn von Auslandsaufenthalten berichtet wird. Deswegen habe ich aufgehört, zu antworten, dass alles ausschließlich "great" und "amazing" ist, wenn ich nach meinen Erfahrungen hier gefragt werde - vielleicht schummeln ja alle ein bisschen, wenn sie das behaupten, wer weiß.
Ein jahrelanger Traum hat sich nun also erfüllt, ich habe die peruanische Kultur sehr gut kennen gelernt - die historischen und modernen Aspekte, die glanzvollen aber auch die glanzlosen und problematischen Seiten. Wäre ich nur kurz als Tourist hergekommen, wäre ich wohl auch dem allgemeinen Backpacker-Enthusiasmus verfallen, und ich bin froh, nun einen komplexeren und reflektierteren Eindruck von Cusco und Peru bekommen zu haben.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf fange ich nun an zu reisen, und in der Tat stellt dies für mich nochmal eine neue Etappe meiner Südamerikazeit dar - nach der Sprachschule und des Praktikums/
Freiwilligendienstes nun die dritte Phase. Ich freue mich sehr darauf, denn nun wird es einfacher: wenn mir ein Ort nicht gefällt, ziehe ich weiter, und wenn ich mich mit bestimmten Dingen nicht auseinandersetzen will, lasse ich es einfach. Und wie bereits erwähnt: in einer Woche bin ich dann auch nicht mehr alleine.

Am Donnerstagmorgen stand ich vor 5 Uhr auf, um zum Terminal Terrestre zu fahren und einen Bus nach Andahuaylas zu nehmen, allerdings war meine Information zur Abfahrtzeit falsch und ich hätte eine Stunde länger schlafen können. Gegen 7.30 Uhr machte sich der Bus auf den Weg, diesmal fuhr ich mit Expreso los Chankas. Der Bus roch ein bisschen nach Dixieklo und ganz sauber war er auch nicht, aber dafür fuhr der Fahrer sicher durch die Strecke, die nahezu nur aus Serpentinen bestand, und das persönliche Übergeben des Gepäcks und das Filmen der Fahrgäste vermittelten zusätzlich ein sicheres Gefühl. Da die Strecke zu den schönsten in Peru zählen sollte, freute ich mich auf die Tagfahrt - doch leider sah ich die meiste Zeit nichts, denn der Nebel war undurchdringlich und ließ nur kleine Fetzen der Landschaft durchblitzen - welche aber in den nebelfreien Momenten durchaus imposant war.



Da wir in neun Stunden Fahrt nicht einmal länger hielten, war ich dankbar für die Frau, die zustieg, um Choclo con queso zu verkaufen, und verbrachte die vielen Stunden mit dem Schreiben dieser Zeilen - was nun dank Handy endlich wieder unterwegs möglich war. Als wir kurz vor 17 Uhr in Andahuaylas ankamen, war der Himmel noch immer grau und bedeckt, die teils unasphaltierten Straßen waren schlammig und es tröpfelte noch immer traurig vor sich hin. Eine Frau am Terminal empfahl mir ein Hostel, das nahe des Terminals gelegen war, und statt lange herumzusuchen, quartierte ich mich dort für eine Nacht ein - schön war es nicht, das fensterlose Zimmer winzig und halbsauber, das geteilte Bad schmutzig, aber dafür kostete es auch nur 15 Soles. Abends lernte ich während eines unfreiwilligen Spaziergangs Andahuaylas auf der Suche nach einem geeigneten Geldautomaten kennen. Wie erwartet war es weniger touristisch, außer mir erblickte ich keine ausländischen Touristen. Ich fand ein nett aussehendes Restaurant, das jedoch, wie ich erst als ich saß feststellte, nur Fleischspieße verkaufte, woraufhin ich meine Wahl nochmal änderte und eine Pizzeria fand, in der Sara und Timm ebenfalls gegessen hatten.



Am nächsten Morgen frühstückte ich in einem kleinen Cafè und freute mich, dass der Himmel blau war und die Sonne kräftig schien, so sah das kleine Städtchen gleich viel einladender aus. Nun sah man auch, dass es mitten in einem Tal lag, eingebettet in hochaufragende, grüne Berggipfel. Ich fragte mich zum Markt durch und nahm dort gegen halb 10 ein Collectivo nach Pacucha, in dem ich mich nett mit den Einheimischen unterhielt - ich habe mich daran gewöhnt, als Señorita angesprochen zu werden, aber die verbreitete Ansprache 'mami' bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Durch die wunderschöne Landschaft fuhren wir über anfangs asphaltierte, später vom Regen aufgeweichte Wege in das kleine Dorf, das direkt an der Laguna Pacucha lag. Dort stieg ich aus und genoss den wunderbaren Ausblick auf den ruhigen, klaren See.




Auf der Suche nach dem Weg zu den nahegelegenen Sondor-Ruinen traf ich ein älteres peruanisches Pärchen aus Trujillo, das sich mir spontan anschloss. Als wir fast eine halbe Stunde auf ein Collectivo oder Taxi gewartet hatten, aber sich keine Transportmöglichkeit ergab, gingen wir durch den Schlamm zurück und in einem Restaurant am See Ceviche essen, wenn es denn stimmte aus Fisch aus dem See, diesmal traditionell mit Chilcano, einer Fischsuppe, serviert, und fuhren dann wieder zurück nach Andahuaylas. Wie oft zuvor wurde ich auch von Ricardo und Ysabel gefragt, ob ich verheiratet bin und Kinder habe, oder ob ich das bald vorhabe - hier ganz normaler Anteil des Smalltalk, in Deutschland wäre das eher ungewöhnlicher Gesprächsstoff zum Kennenlernen.




In Andahuaylas wollte ich mir nur schnell eine neue SIM-Karte kaufen, allerdings stellte sich heraus, dass das System meine alte Karte unter einem anderen Namen registriert hatte, sogar unter einem anderen Geschlecht, sodass ich meine alte SIM nicht sperren konnte und eine komplett neue Karte mit neuer Nummer kaufen musste - und da es mit dieser Komplikationen gab, wartete ich eine Stunde, bis mein Handy einsatzbereit war. Im Hostel bekam ich einen kleinen Schock, als ich feststellte, dass sich niemand an der Rezeption aufhielt und mein Gepäck in einem offenen Raum verwahrt worden war, wo ich es ungestört herausholen konnte - es war zum Glück noch alles da, und kurz bevor ich ging, wurde ich doch noch von einer Frau gefragt, ob dies meine Sachen seien, was ich bejahte, womit sie sich auch schon zufrieden gab.



Noch vor Betreten des Busbahnhof wurde mir ein Platz in einem Collectivo nach Ayacucho angeboten, den ich annahm und zehn Minuten später ging es gegen 15 Uhr im vollbepackten Minibus los, meine Tasche auf das Dach gespannt. Diesmal hatte ich Glück, der Himmel blieb blau und so konnte ich diesmal die schöne Strecke genießen. Zwischendurch wurde unser Bus angehalten und ein Polizist forderte die Ausweispapiere aller Passagiere ein, woraufhin ich ein wenig Panik bekam, denn meine willkürlich stattgegebenen 60 Visatage waren bereits überschritten und ich hoffte darauf, dass die Regelung noch galt, dass bei der Ausreise lediglich eine Gebühr für jeden zusätzlichen Tag erhoben wird, und ich nicht doch hätte etwas unternehmen müssen. Doch nach zehn Minuten bekamen wir alle unsere Ausweise kommentarlos wieder und konnten die Fahrt fortzetzen. Mein Sitznachbar José gab mir einige Tipps über Sehenswertes in Ayacucho, und nach fünf Stunden Fahrt kamen wir dort an.



Obwohl Ayacucho mit 2700 Metern nur 200 Meter unter Andahuaylas liegt, war es deutlich wärmer und sofort bemerkte man am Verkehr und den Straßen, dass man sich nun wieder in einer größeren Stadt aufhielt. In einem Hostel war noch ein Dreibettzimmer frei, das mit 30 Soles zwar doppelt so teuer wie meine Absteige der Vornacht war, doch dieser Unterschied machte sich durch  Großzügigkeit der Zimmer und den grünen Innenhofs, Sauberkeit des Bads und Freundlichkeit der Besitzern bezahlt, außerdem hatte ich wieder einmal Glück und blieb alleine in dem Zimmer. In einem Biorestaurant am Plaza de Armas aß ich ein Quinoa-Risotto zu Abend, mit Blick auf den verdient als einer der schönsten Perus beschriebenen Hauptplatz.



Eigentlich hatte ich nicht viel Lust auf klassisches Sightseeing, doch da Ayacucho auch als Stadt der Kirchen bekannt ist, sah ich mir zumindest die Kathedrale an. Leider sah ich viele weitere Kirchen nur von außen, da sie allesamt geschlossen waren.



In einem urigen Café frühstückte ich und lief dann durch die bunten, freundlichen Straßen zum Museo de Memoria. Auf dem Weg dahin dachte ich darüber nach, warum mir Ayacucho so gut gefiel, und mir fiel auf, dass mich das kolonial geprägte Stadtbild sehr an Italien und Spanien erinnerte, vielleicht spielte also die Vertrautheit eine Rolle.



Das Museum erinnert an die Taten des Sendero Luminoso, einer Guerillaorganisation, die seit 1980 zehn Jahre lang bürgerkriegsähnliche Zustände in Peru ausgelöst hatte, die etwa 70000 Opfer forderten. Das von einem Verein geführte Museum erstreckt sich lediglich über ein Stockwerk, doch ist trotz seiner kleinen Größe sehr beeindruckend, insbesondere die Wand mit Fotos von Müttern, deren Söhne bis heute verschwunden sind und die die Organisation unterstützen, das Museum zu erhalten. Das Motto „Para que no se repita“ fasst die Intention des Museums zusammen, die auch während der kurzen Führung deutlich wurde: erinnern, aufklären, nicht in Vergessenheit geraten lassen, um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Eine intensive staatliche Aufarbeitung der Geschehnisse scheint bis heute auszubleiben, erst seit den 2000ern wurden Massengräber exhumiert und die Opfer sind bis heute nicht identifiziert, während  Jugendliche oft nicht genau wissen, was in der Zeit zwischen 1980 und 2000 passiert ist. Unerwartet oft fiel Deutschland während der Tour als Beispiel für Aufarbeitung und Bewusstsein für Geschichte sowie dem Gedenken von Opfern. Die deutsche Regierung unterstützt offenbar das Fortbestehen dieses Museums, und die Museumsleiterin war sehr stolz zu berichten, dass vor einem Jahr unser Präsident das Museum besucht hat, wo er auch einen Eintrag im Gästebuch hinterließ.

 

Durch einen Kunsthandwerksmarkt, viele Grünflächen und Parks sowie schöne Hinterhöfe mit Geschäften und Restaurants und an Kirchen vorbei spazierte ich nachmittags hinauf zu einem schönen Aussichtspunkt über die Stadt, probierte dort eine regionale Eisspezialität und nahm später einen Bus zurück zum Zentrum, wo gegen halb 6 ein christliches Musikfestival begann: Cielo Abierto (offener Himmel), bei dem drei Bands christliche Popmusik spielten, die Leute jubelten und ihre Liebe zu Jesus und ihren Glauben besangen, eine irre Stimmung. Eindrücklich fand ich, dass der Bürgermeister das Event zunächst auf Quechua, dann auf Spanisch eröffnete.

 

In einem traditionellen Restaurant aß ich zu Abend, mit Blick auf eine Kirche und den plötzlich und heftig einsetzenden Sturm, und verbrachte im Hostel noch ein wenig Zeit, bis ich ein Taxi zum Busterminal von Cruz der Sur nahm, das wie in vielen Städten nicht am normalen Busterminal gelegen ist. Viele Reisende bemängeln die hohen Preise von Cruz del Sur, doch ich hatte einen Tag online vorgebucht und mir so wieder einen Sparpreis für die beiden bevorstehenden Busreisen sichern können, wodurch ich sogar ebenso günstig oder günstiger als mit anderen Busunternehmen unterwegs war – nach Lima kam ich nun für 49 Soles. Ayacucho hatte mir sehr gut gefallen, und war trotz seines schönen Stadtbilds und vieler Sehenswürdigeiten in der Umgebung (die Ruinen der Hauptstadt des Wari-Reichs waren nah, ich hatte nur keine große Lust auf weitere Ruinen gehabt) erstaunlich untouristisch – ich hatte insgesamt nur eine Handvoll ausländischer Reisender gesehen. Nachdem ich einen bekloppten Film angesehen hatte und nach ein paar unruhigen Stunden Schlaf bemerkt hatte, dass ich die Hitze mit der Belüftung über mir beeinflussen konnte, konnte ich richtig schlafen, und nach etwa 9 Stunden Fahrt erreichten wir das unternehmenseigene Terminal in Lima. Weder im dortigen Café noch am Imbissstand außerhalb gab es vegetarische Optionen, also gab ich mich mit einem Joghurtdrink von der Tankstelle als Frühstück zufrieden, und nach zwei Stunden Aufenthalt ging es um 9.30 Uhr direkt mit dem nächsten Bus für unschlagbare 29 Soles weiter nach Huaraz. Leider verfügten die Tagesbusse über weniger komfortable Sitze und Bildschirme im Gang, die durchgehend Filme zeigten, wodurch diese teils kurvige Fahrt durch Wüste und karge Berglandschaft etwas anstrengend war, sodass ich mit Übelkeit und starken Kopfschmerzen froh war, gegen 18 Uhr Huaraz zu erreichen - Fazit: 18 Stunden Busfahrt innerhalb von 24 Stunden zukünftig besser vermeiden. Trotz der 3050 Höhenmeter war es erstaunlich mild. Noch am Terminal traf ich Dor aus Israel, der sich mir auf dem Weg zum Hostel anschloss, das ich herausgesucht hatte. Es waren noch zwei Betten in einem Dorm verfügbar, diesmal für 15 Soles, und das für saubere Zimmer mit Bad und einer Küche im Hostel, in der ich mir später noch ein Spiegelei und Avocado zubereiten konnte. Da ich nur über wenig Zeit verfügte, machte ich mich in Begleitung von Dor sofort auf den Weg ins sehr großstädtisch erscheinende Zentrum, um dort die Preise für die viele möglichen Touren in der Umgebung zu vergleichen - doch bereits vor 20 Uhr war keine geöffneten Agenturen mehr aufzufinden. So entschied ich mich, direkt in meinem Hostel eine Tour für den nächsten Tag zu buchen - ohne zu wissen, ob der Preis von 330 Soles fair oder unangemessen hoch angesetzt war. Ewig hatte ich überlegt, ob ich mich auf Tageswanderungen beschränken sollte oder mir den auf drei Tage verkürzten Santa-Cruz-Trek zutrauen sollte, aber da letzterer zu den schönsten Wanderungen der Welt zählt und ich durch meine Zeit in Cusco bereits an die Höhe akklimatisiert war, konnte ich nicht widerstehen und werde morgen die dreitätige Wanderung in der Cordillera Blanca, der höchsten Gebirgskette des amerikanischen Kontinents, starten.

 

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